Nokias Vertriebspolitik bietet häufiger Anlass zur Verwunderung. So sind die Lumia 920-Varianten 928 und 929 nur dem amerikanischen Provider Verizon vorbehalten. Und in Europa sorgten die Finnen mit der Entscheidung, das Lumia 925 nur über Vodafone in einer 32 GB-Version anzubieten, für Kopfschütteln.
Anfang Dezember ist nun das erste Nokia-Tablet Lumia 2520 erschienen, Europa-exklusiv in Großbritannien. Dort wiederum exklusiv bei der Warenhauskette John Lewis, hierzulande etwa vergleichbar mit Karstadt oder Galerie Kaufhof. Obwohl der Händler generell internationalen Versand anbietet, darf man das Gerät nur lokal kaufen. Die eigentlich verfügbaren Farbvarianten (rot, cyan, weiß und schwarz) sind auf rot und schwarz limitiert. Also Einschränkungen und Hürden ohne Ende. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Nokia das 2520 eher verstecken als verkaufen will. Zumal immer noch nicht bekannt ist, ob das Tablet nach Ablauf der John Lewis-Exklusivität Ende Februar auch in anderen europäischen Ländern veröffentlicht wird.
Um es vorwegzunehmen: Würde Nokia von einem breiteren Verkaufsstart absehen, wäre es sehr schade, denn das 2520 ist ein interessantes Gerät mit Potential nach oben.
Verpackung, erster Eindruck
Schon der Verpackungskarton verrät die enge Verwandtschaft zur aktuellen Lumia-Reihe. In der blauen Box finden sich zunächst keine Überraschungen: Tablet, SIM-Pinnadel, ein paar Infopapiere. Beim Hochklappen des inneren Deckels offenbart sich dann aber das massive Netzteil AC-300, welches das Lumia innerhalb einer Stunde auf 80% aufladen soll. Leider enttäuscht es mit einem fest verbundenen Kabel und proprietären Ladestecker. Bei Kabelbruch ist also gleich ein neues Netzteil erforderlich, bzw. ohne ist das Aufladen des Tablets gar nicht erst möglich. Laden über die USB-Buchse des 2520 ist nicht vorgesehen. Nicht einmal für Notfälle mit geringerem Ladestrom. Schade.
Das 2520 erinnert ein wenig an ein zu groß geratenes Lumia 820. Die Bildschirmseite ist nicht gewölbt, dafür aber aus Gorilla Glas 2 und leider sehr anfällig für Staub und Fingerabdrücke. Das puristische Design wird nur durch den dicken Displayrahmen gestört, der doch etwas altbacken wirkt. Auf der rechten Geräteseite befinden sich ein Micro-USB- und ein HDMI-D-Anschluss. Auf der linken Seite die Kopfhörerbuchse und der Anschluss für das Netzteil. Auf der Oberseite zeigt sich links ein relativ breiter Slot für die Micro-SIM-Karte und eine Speichererweiterung (Micro-SD bis maximal 64GB). Rechts oben dann die Lautstärkeregler und der An/Aus-Schalter nebeneinander. Definitiv eine eigenwillige Positionierung, die auch nach Tagen der Nutzung beim Blindgriff auf die Oberseite noch zu Verwechslungen von Lautstärke und An-/Aus-Tasten einlädt. Unten am Gerät findet sich dann ein mehrpoliger Anschluss (siehe unten) für das optionale Nokia Power Keyboard, das mit zusätzlichem Akku und zwei Fullsize-USB-Buchsen ausgestattet und inzwischen auch bei beim Exklusivpartner John Lewis lieferbar ist.
Auf der Front links und rechts unten sitzen zwei Lautsprecher. Eine gelungene Umsetzung, die im Vergleich zu anderen Tablets einen richtig guten Stereoeffekt beim Betrachten von Videos und Filmen bietet. Die Soundqualität ist solide, Begeisterungsstürme löst sie jedoch nicht aus. Dafür klingen die Lautsprecher einen Hauch zu spitz und frei von jeder Bassfrequenz.
Nicht zu vergessen die beiden Kameras, eine auf der Front (1,2 MP) und eine mit dem Schriftzug „Zeiss“ versehen auf der Rückseite (6,7 MP) – leider ohne Blitz-Funktion. Die Zeiss-Kamera zeigte sich im Vergleich mit der des Surface 2 deutlich lichtstärker, aber auch leicht unschärfer. Im Wettbewerb um die bessere Frontkamera siegte Microsoft: Während das Surface bei Kunstlicht Hautfarben sehr natürlich darstellte, waren die Gesichter beim Lumia knallrot.
Verarbeitung & Bildschirm
Die Verarbeitung des 2520 überzeugt weitestgehend. Die Front besteht, wie bereits oben erwähnt, aus Gorillas Glas 2, die Rückseite aus dem Lumia-typischen Polycarbonat. Der geringen Tiefe von 8,9 mm geschuldet, erscheint die Dicke des Kunststoffes aber deutlich dünner als bei den Smartphones. So lässt sich die Rückseite bei übermäßiger Genauigkeit an einigen Stellen minimal eindrücken. Das könnten jedoch auch simple Fertigungstoleranzen sein und bei anderen Geräten nicht vorkommen.
Kommen wir zum Herzstück des Tablets: Das Display wurde von verschiedenen Rezensenten schon überschwänglich gelobt. Und in der Tat beeindruckt der Bildschirm durch eine knackige Farbdarstellung und hohe Helligkeit. Von der Auflösung kann das Full HD-Display aber nicht mit dem deutlich feineren Retina-Display der aktuellen iPads mithalten. Andererseits: um beim Lumia 2520 Pixel zu erkennen, muss man schon sehr nahe vor dem Display hängen. Ob man das Tablet wie beworben auch bei gleißendem Sonnenlicht verwenden kann, konnten wir noch nicht testen. Der Himmel war seitdem nur grau. Doch bereits bei einer Helligkeitseinstellung von nur 30% überzeugt das Display mit einer ausreichend beleuchteten Oberfläche. Das kommt natürlich auch der Akkuleistung zugute. Die in anderen Berichten genannten Werte von 10 bis 13 Stunden im WLAN-Surf- bzw. Office-Modus sind also als durchaus realistisch einzuschätzen.
Das OS: Windows RT 8.1
Immer wieder Zielscheibe ungerechtfertigter Kritik: Windows RT 8.1. Am häufigsten wird die mangelnde Unterstützung von x86-Programmen bemängelt. Dieser Punkt ist jedoch unfair. Bei iOS schimpft auch niemand, dass dort keine Desktop-Apps laufen. Ganz unschuldig ist Microsoft an diesen negativen Feedback jedoch nicht. Es wäre konsequenter gewesen, bei RT den Desktopmodus komplett wegzulassen. Er wirkt wie ein Kompromiss, wie ein Rückfall ins PC-Zeitalter. Wenn etwas nicht vollständig funktioniert, sollte man es gleich komplett weglassen.
Abgesehen davon begeistert RT genau wie Windows Phone 8 durch eine durchweg eindrucksvolle Leistung und ansprechendes Design. Ein paar „Windows-typische“ Herausforderungen gab es dann aber doch. Mit der ersten Internetverbindung folgen die mittlerweile zahlreich aufgelaufenen Windows-Updates. Nach Fertigstellung der Aktualisierungen gab das 2520 keinen Ton mehr von sich. Die Ausgabe war „deaktiviert“, keine Treiber mehr installiert. Nach zwei Neustarts und ziellosem Hin- und Hergeklicke funktionierte wieder alles. Ein anderes Mal streikte die Tastatur und verselbständigte sich bei der Passworteingabe. Auch hier half nur ein erneuter Kaltstart. Beide Probleme sind bisher aber nicht wieder aufgetaucht.
Vorläufiges Fazit
Was bleibt als erstes Fazit nach gut zwei Wochen Test? Das Nokia Lumia 2520 überzeugt durch ein angenehm puristisches Design, ein Spitzendisplay, überragende Akkulaufleistung und eine tadellose Performance. Nicht vollkommen zufriedenstellen kann die Klangqualität und die eingeschränkten Lademöglichkeiten mit dem proprietären Netzteil.
Für umgerechnet 480 Euro ist das Nokia Lumia 2520 das 10-Zoll-Tablet mit dem aktuell wohl besten Preis/Leistungsverhältnis. Wo sonst gibt es 32 GB Speicher und 4G auf ähnlichem Niveau? Ein technisch vergleichbares iPad Air kostet satte 689 Euro. Das muss bei leicht niedrigerem Preis bei 4G und Displayqualität zurückstecken, kann aber mit einer besseren Frontkamera punkten.
„Sitting next to the Surface 2, the Lumia tablet looks like Andy Warhol sitting next to Darth Vader“, schreibt pcworld.com und hat damit nicht ganz unrecht. Das Lumia 2520 ist die „freche“ Variante des Surface. Umso mehr verwundert und ärgert es, dass Nokia seine kleine Schönheit in einem englischen Warenhaus versteckt.