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Microsofts Forderung nach einem ‚New Deal‘ im Lichte aktueller Begebenheiten

Auch in diesem Jahr lockte die nunmehr zurückliegende CeBIT Messe neugierige Besucher und bündelte die Ausstellungen unter dem Motto der „Datability“: Eine gewöhnungsbedürftige Wortschöpfung, welche einerseits die mit großen Datenmengen, auch genannt „Big Data, einhergehenden Möglichkeiten widerspiegeln und andererseits den sorgsamen wie auch nachhaltigen Umgang mit diesen wertvollen Ressourcen zum Ausdruck bringen soll. So die Intention der Veranstalter, die selbst Angela Merkel und zahlreiche Gäste aus Politik und Wirtschaft für den Gedanken der „Datenmöglichkeit und -sicherheit“ begeistern konnten. Dass sich die Menschheit im Status quo nicht bereits am Höhepunkt der Vernetzung befindet, steht allerdings außer Debatte. Carsten Heidbrink, Direktor Vertrieb/Finanzwesen bei Cisco, äußerte sich beispielsweise im Rahmen der CeBIT über die Reformbedürftigkeit zahlreicher Unternehmen, da das „Internet of Everything“ (dt.: Internet der Dinge) in der Zukunft auch für sie eine erhebliche Rolle spielen werde. Während heute noch 99% der auf der Erde befindlichen Dinge nicht miteinander vernetzt seien, werden gemäß einer ihrerseits durchgeführten Studie im Jahr 2020 rund 50 Milliarden Geräte miteinander verbunden sein.

Aus dem Potenzial der Daten resultieren jedoch zwei wesentliche Probleme unterschiedlicher Zielrichtung, die indes eine gemeinsame Grundlage haben. So stellt sich zum einen die Frage, inwiefern die schier endlose Menge an Daten jemals automatisiert verarbeitet werden kann. Diesbezüglich äußern Cynthia Dwork, Wissenschaftlerin bei Microsoft Research und Deirdre K. Mulligan, Professor der School of Information, Berkeley Law, in einer gemeinsamen Abhandlung aus dem Jahr 2013 Bedenken:

Während viele Unternehmen und Behörden die Illusion fördern, dass die Klassifizierung ein Bereich der absoluten algorithmischen Regeln sei (oder sein sollte) – dass also die Entscheidungen neutral und gesetzmäßig sind, gar automatisch wiedergegeben werden, ohne dass es eines menschlichen Eingriffs bedarf – ist die Realität eine weitaus chaotischere Mischung aus technischer und menschlicher Organisation.

Zudem haben Neil M. Richards und Jonathan H. King in diesem Zusammenhang drei Thesen – namentlich das Transparency-, das Identity- und das Power Paradoxon – aufgestellt, die zwar aufschlussreiches Wissen vermittelt, deren eingehende Darstellung aber den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde.

„New Deal” für die digitale Welt

Das zweite Problem wird bereits im obigen Zitat angedeutet, nämlich die Frage des Umgangs mit den Nutzerdaten. Nachdem das Treiben der NSA dank Edward Joseph Snowden die Medien und folglich die globale Öffentlichkeit erreichte, wurde das Vertrauen der Verbraucher in den sensiblen Umgang mit ihren Daten endgültig aufgelöst. Um dieses Problems habhaft zu werden, warb Microsoft Deutschland-Chef Christian P. Illek im Zuge der CeBIT 2014 für einen „New Deal“ für die digitale Welt zwischen Politik, Wirtschaft und Verbrauchern. Schließlich stecke ein erhebliches Potenzial in der zunehmenden Vernetzung und Datenanalyse, wenn „Informationssicherheit und technologische Leistungsfähigkeit in Einklang“ stünden. Diesen Gedanken bot das Unternehmen aus Redmond unter dem Motto „Adding Productivity to Datability“ auf der CeBIT 2014 dar.

Wir brauchen einen ‚New Deal‘ im Dreiklang von Industrie, Politik und Nutzern, um schnellstmöglich aus der Phase der ‚gefühlten digitalen Depression‘ herauszufinden. […]

Unsere Verantwortung als IT-Hersteller besteht darin, ein Höchstmaß an Produktsicherheit anzubieten, die Daten und Privatsphäre unserer Kunden vor Angriffen Dritter und unberechtigten Zugriffen zu schützen. […]

Während Microsoft jeder Seite und folglich auch dem Verbraucher einen Teil der Verantwortung für die eigene/fremde IT-Sicherheit zuschreibt, sei die Politik dazu berufen, sich für die Datensicherheit zum Schutz ihrer Bürger und Unternehmen „nachdrücklich einzusetzen“ – wenn es sein muss, auch über die eigenen Staatsgrenzen hinaus. Hierbei handle es sich laut Microsoft um eine Ebene, bei welcher der Handlungsbedarf am dringendsten sei. Anders als beim originären „New Deal“, wobei es sich um ein US-Reformpaket zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise handelte, müsse der Bezug genommene Rechtsrahmen international anwendbar sei, IT-Sicherheit gewähren und zeitgleich Spielraum zur wirtschaftlichen Entfaltung lassen.

Auf Kundenfang in der Politik?

Ungeachtet dessen, ob der von Microsoft beschriebene normative Zustand mit Blick auf die positiven Rechtsordnungen der einzubeziehenden Staaten jemals erreicht werden kann, erweckt Microsoft mit den Aussagen einen teils widersprüchlichen Eindruck. Dieses Bild ergibt sich unter anderem aus einem Bericht der Washington Post im Zusammenhang mit Microsoft und den diesjährigen Zwischenwahlen (engl.: midterm elections) in den USA. Demzufolge versuche Microsoft, Politiker davon zu überzeugen, auf Xbox Live, Skype, MSN und anderen Unternehmensplattformen zielgerichtete Werbung zu schalten. Um dieser Bemühung Nachdruck zu verleihen, sollen Microsoft Vertreter während der Conservative Political Action Conference (CPAC) Werbematerial an die Teilnehmer der CPAC ausgegeben haben. In diesen werde angegeben, dass in den USA 38% der 25 Millionen Xbox Live Nutzer weiblichen Geschlechts sind – des Weiteren sind 40% verheiratet und 50% haben Kinder. Neben diesen wichtigen demografischen Angaben weise Microsoft sehr deutlich darauf hin, gezielt weibliche Personen, Latinos und solche Personen erreichen zu können, deren Geburt sich im Jahr 2000 vollzog. Deshalb habe Microsoft bereits damit begonnen, spezifische Nutzerkategorien wie „Ciudad Strivers“ und „Nuevo Horizons“ zu bilden, um ein jeweiliges Set an Charakteristiken zu beschreiben: Dazu zählen das Alter, der Wohnort sowie das Einkommen.

In Anbetracht der gegenwärtigen Begebenheiten hat der Bericht der Washington Post durchaus Skandalpotenzial, allerdings muss relativierend eingewendet werden, dass – gesetzt den Fall, der Bericht entspricht der Wahrheit – lediglich die Daten der US-amerikanischen Nutzern hiervon betroffen wären, hiesige Anwender blieben, unter anderem wegen der abweichenden rechtlichen Regelungen, verschont. Darüber hinaus sollen die gewonnenen Daten „nur“ auf den Microsoft Benutzer-IDs und auf Informationen basieren, welche die Nutzer der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Verfügt der jeweilige Kunde allerdings über eine Liste von Email-Adressen ihrer (potenziellen) Wähler, könne Microsoft aufgrund eines Abgleichs mit den Xbox Live-IDs zweckgerichtetere Werbekampagnen durchführen. Ganz unabhängig von alledem, ist diese Art der Werbung und der Kundengewinnung weder für Microsoft noch für andere Unternehmen eine Neuheit: US-Präsident Barack Obama warb beispielsweise im Jahr 2008 im EA Games Titel Burnout Paradise für eigene Angelegenheiten und im Jahr 2012 über Xbox Live für seine Wiederwahl.

Es bleibt also festzuhalten, dass die in den vergangenen Tagen bis zum Überdruss erörterte Neuigkeit unter Bezug auf die Washington Post tatsächlich die Wiederholung bzw. Vertiefung von Geschäftsgebaren ist. Dies ändert jedoch nichts an Microsofts deutlicher Positionierung in der Öffentlichkeit – zuletzt während der CeBIT und seit jeher im Rahmen der eigens gestarteten „Don’t get Scroogled!“-Kampagne. Mittels letzterer rühmt sich Microsoft, vereinfacht dargestellt, seines vorbildlichen Umgangs mit den Kundendaten, während Google Mails und weitere Daten seiner Kunden durchsuche, um diese zum Zwecke der Werbung zu verkaufen. Sollten die Unterstellungen der Washington Post zutreffen – Microsoft kommentiert sie jedenfalls nicht -, ist es Zeit für einen zumindest sukzessiven Ausklang der Scroogled Kampagne.

Ein hypothetischer „New Deal der digitalen Welt“ sollte schließlich beim Veranlasser dessen beginnen.


Quellen: washington post, microsoft
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