Editorial

Sonntagslektüre: USA gegen Microsoft – ein Gerichtsverfahren mit weichenstellendem Ausgang

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Schon mehrmals haben wir in der Vergangenheit darüber berichtet, dass sich Microsoft juristisch dagegen zur Wehr setzt, einen Durchsuchungsbefehl umzusetzen, welcher US-amerikanischen Ermittlern Zugriff auf das Postfach eines Kunden von Outlook.com ermöglichen soll. Da besagte E-Mails auf Unternehmensservern in Irland, und somit außerhalb des Hoheitsgebietes der Vereinigten Staaten von Amerika abgelegt sind, hält Redmond die extraterritoriale Anwendung des Stored Communication Act für nicht zulässig. In den letzten Wochen ist nun wieder Bewegung in die Sache gekommen. Wer von euch sein Gedächtnis auffrischen und sich den bisherigen Verlauf des Verfahrens in Erinnerung rufen möchte, dem steht unser Archiv zur Verfügung (hier und hier).

Ein Gedankenspiel

Zunächst haben Brad Smith, Microsofts Chefjurist, und seine Mitarbeiter mit ihrer erneuten Beschwerde beim zuständigen Gericht, dem United States Court of Appeals for the Second Circuit, den Spieß umgedreht, indem sie darum baten, sich folgendes Szenario vor Augen zu führen:

Aufgrund einer angeblichen Weitergabe geschützter Informationen an die Presse ermitteln Beamte der (lokalen) Stadtpolizei bei der Deutschen Bank in Frankfurt. Sie präsentieren einen Durchsuchungsbefehl, mittels dessen sie sich Zugriff auf die private Korrespondenz eines Reportes verschaffen wollen. Die Briefe sind allerdings in einem Bankschließfach in der New Yorker Filiale des Finanzinstituts hinterlegt. Hierauf weist die Bank den Filialeiter an, das Fach mit seinem Generalschlüssel zu öffnen und Kopien der Dokumente an die Stadtpolizei zu übermitteln.

Die Antwort auf die Frage, wie die USA reagieren würden, liefert Smith direkt mit. Allen voran Washington wäre höchst empört, dass sowohl die Persönlichkeitsrechte des Reporters als auch bilaterale Abkommen und US-amerikanisches Recht in inakzeptabler Weise verletzt worden seien.

Der Vergleich ist daher äußerst passenden gewählt, verdeutlicht er doch nur zu gut die momentane Argumentation der Gegenseite. In diesem Fall würden ausländische Ermittler (gemeint sind deutsche) gleichermaßen keinen Fuß auf fremdes Hoheitsgebiet setzen, sondern stattdessen nur ein Unternehmen anweisen, das seinen Hauptsitz in ihrem Staat hat, den aufbewahrten Schriftverkehr eines Kunden herauszugeben.

Davon auszugehen, dass sich das Berufungsgericht Microsofts Argumentation anschließen wird, halten wir für zu otimistisch. Wahrscheinlicher ist es, dass bei der Umsetzung von US-amerikanischem Recht an ausländische und inländische Unternehmen unterschiedliche Maßstäbe anlegt werden.

Microsoft schützt keine Kriminellen, sondern pocht auf rechtsstaatliche Verfahren

Da sich der Vergangenheit nicht wenige unserer Leser im Kommentarbereich von ihren Emotionen leiten ließen, ist es uns wichtig, noch einmal folgende Punkte in aller Deutlichkeit festzuhalten:

1. Im konkreten Fall wird wegen Drogenhandels ermittelt. Auch hierzulande ist dies nach dem Betäubungsmittelgesetz strafbar. Jedoch ist es vollkommen irrelevant, was die Ermittler und die Staatsanwaltschaft dem Inhaber des elektronischem Postfaches zur Last legen. Es könnte sich ebenso um einen schwerwiegenderen Straftatbestand, wie beispielsweise Mord, oder ein geringfügigeres Vergehen handeln. Genauso wenig spielt es eine Rolle, wie der IT-Riese und seine Mitarbeiter zum Thema Drogenkonsum stehen. Niemandem in Redmond ist es daran gelegen, seine schützende Hand über Drogenhändler zu halten und somit in letzter Konsequenz die organisierte Kriminalität zu protegieren. Microsoft ist lediglich der Obrigkeit nicht blind hörig und vertritt die Auffassung, dass diese ihre Kompetenzen überschreite.

2. Die Überwachungstätigkeit der National Security Agency (NSA) ist für das aktuelle Verfahren ebenfalls nicht von Belang. Aller Wahrscheinlichkeit nach interessiert sich der US-amerikanische Nachrichtendienst nicht für diesen kleinen Fisch. Zudem sollte nicht vergessen werden, dass die Mitarbeiter der NSA, als auch die der CIA, des FBI oder sonstiger Behörden letztendlich nur Regierungsdirektiven umsetzen (siehe unter anderem USA PATRIOT Act) – egal, ob Teile unserer Bevölkerung sich darüber echauffieren oder diese für unethisch respektive kriminell erachten. Darüber hinaus ist es möglich, dass einzelne Abteilungen die Grenzen ihres Auftrages überschreiten und ein Eigenleben entwickeln. Bei (Auslands-)Geheimdiensten liegt dies in der Natur der Sache; es ist systemimmanent. Schließlich bewegen sich diese permanent im Spannungsfeld zwischen parlamentarischer Kontrolle und effektiver Operationsführung.

3. Keineswegs dürfte es für die US-Ermittler unmöglich sein, auf anderen Wegen an die gewünschten Informationen zu gelangen. Unseres Wissens nach wurde das Instrument der internationalen Rechtshilfe bis jetzt allerdings noch nicht einmal in Erwägung gezogen. Grund hierfür könnte sein, dass die US-Behörden das Ziel verfolgen, auf außerparlamentarischen Wege Fakten zu schaffen. Finden im anglo-amerikanischen Rechtskreis doch gerichtliche Entscheidungen direkten Eingang in die Rechtsordnung und bilden die Grundlage für weitere Urteile. Insbesondere für erstinstanzliche Gerichte sind diese bindend.

4. Brad Smith mag in seinem Privatleben gleichermaßen ein Verfechter von Bürgerrechten sein. Viel mehr dürften ihn und die restlichen Führungskräfte von Microsoft jedoch Angst umtreiben. Angst, dass die Nutzer das Vertrauen in Cloud-Dienstleistungen verlieren. Würde dieser Fall eintreten, ständen Tausende von Arbeitsplätze auf dem Spiel. Die Information Technology and Innovation Foundation schätzte die zu erwartenden Auftragsverluste allein für das Jahr 2016 auf satte 35 Milliarden US-Dollar. Und Microsoft Deutschland prüft bereits die Umsetzung einer deutschen Cloud.

Es ist daher keinesfalls überraschend, dass Anfang dieser Woche führende IT-Experten, Wirtschafts- und andere Interessenverbände sowie IT- und Medienunternehmen, darunter Amazon, eBay, Apple, Fox News, ABC, die Washington Post, AT&T und Verizon, Microsoft als Amici curiae zur Seite sprangen. Die komplette Liste der Untersützer findet ihr hier. Diese Unternehmen haben mitnichten ihr Herz für Redmond entdeckt, mit dem sie entweder Geschäftsbeziehungen unterhalten oder in unmittelbarer Konkurrenz stehen. Stattdessen formiert sich hier eine zeitweilige Zweckgemeinschaft, geleitet von Eigeninteressen. Ist der Ausgang des Gerichtsverfahrens doch für sie alle zukunftsweisend.


(Bild-)Quelle(n): Microsoft, Microsoft, Neowin

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