Gibt es eine neue Windows-Version, so ist es mittlerweile zur Tradition geworden, in der Fachpresse davor zu warnen. Dabei werden meist einzelne Funktionen, welche in anderen Betriebssystemen standardmäßig vorhanden sind, angegriffen oder Teile der EULA missinterpretiert, sodass ein verzerrtes Bild entsteht. Wir nahmen dies zum Anlass, fünf reißerische Windows 10 Mythen unter die Lupe zu nehmen, um der Desinformation in Bezug auf Windows 10 entgegenzuwirken. Wir zeigen allerdings nicht mit dem Finger auf konkrete Beispiele – wer unsere Angaben überprüfen möchte, muss die Überschriften der jeweiligen Absätze nur bingen oder googeln.
1. WIFI-Sense versendet eure Passwörter
Wifi-Sense ist eine Funktion in Windows 10, welche den Zugriff auf ein WLAN-Netzwerk an eine Person aus den Outlook-, Facebook oder Skype-Kontakten freigeben kann. Einige Medien sahen darin eine gute Möglichkeit, den Datenschutz von Windows 10 an den Pranger zu stellen. Anleitungen, wie man Wifi-Sense deaktivieren könne, wurden verfasst und zahlreiche Berichte kritisierten, dass Microsoft so sensible Daten, wie Passwörter, einfach so weitergebe.
Hier müssen einige Dinge festgehalten werden: Es wird kein Passwort im klassischen Sinne geteilt. Der Kontakt erhält zwar Zugang zum Netzwerk, bekommt das tatsächliche Kennwort allerdings nie zu sehen. Es wird vielmehr verschlüsselt übertragen und erst nachdem es über die Microsoft Server den Kontakt erreicht hinter den Kulissen entschlüsselt. Zweitens geschieht nichts automatisch: Es muss nämlich beim ersten Verbinden mit dem Netzwerk manuell ein Kreuzchen gesetzt werden, damit der Zugang mit den Kontakten geteilt wird. Darüber hinaus erhalten die Kontakte im Falle der Nutzung des Wifi-Sense Features ausschließlich Zugang zum Internet und nicht Zugriff auf die mit dem Netzwerk verbundenen Geräte. Unternehmensnetzwerke, die 802.1X verwenden, können ohnehin nicht freigegeben werden. Schließlich müssen sich Kritiker die Gegenfrage gefallen lassen, ob die Alternative zu Wi-Fi Sense tatsächlich besser wäre? In der Regel fragen Gäste nach dem Passwort für das eigene Netzwerk und ebenso regelmäßig nennt man es ihnen oder reicht einen Notizzettel, das für diesen Zweck jederzeit bereitliegt. Man möchte schließlich kein schlechter Gastgeber sein. Hiermit setzt man sich aber der Gefahr aus, dass das so gewonnene Wissen anschließend weitergereicht werden kann. Wi-Fi Sense dagegen erlaubt nicht einmal Freunden von eigenen Kontakten den Zugang zum freigegebenen Netzwerk.
Wi-Fi Sense ist gewiss nicht die sicherste Lösung und kann ihre Schwachstellen haben. Vor dem Hintergrund der oben genannten Tatsachen relativiert sich der Vorwurf des Versands von Passwörtern aber.
2. Microsoft kann auf alle PC-Daten zugreifen
Eine bzw. mehrere Passagen aus den Datenschutzbestimmungen von Microsoft, welche Bestandteil der Windows Endbenutzer-Lizenzbedingungen werden, haben ebenfalls zu einem sehr großen, für viele Medien wohl eher peinlichen, Missverständnis geführt. Diese Passagen wurden von einigen Blogs folgendermaßen zitiert und sinngemäß wiedergegeben:
Falls erforderlich sammeln wir die Inhalte Ihrer Dateien und Kommunikationen, um Ihnen die von Ihnen verwendeten Dienste anbieten zu können.
Dazu gehören: Inhalte Ihrer Dokumente, Fotos, Musik oder Videos, […]
Microsoft sammelt demnach den Inhalt aller Dateien und der gesamten Kommunikation auf einem Windows 10-Gerät. Man hätte allerdings nur drei Wörter weiterlesen müssen, um zu erkennen, dass es auf etwas ganz anderes zutrifft. Und zwar darf Microsoft auf die Dateien zugreifen, die man auf OneDrive, sprich auf Microsoft-Server, hochlädt. Das ist bei Google Drive, Dropbox und iCloud Drive nicht anders, sonst könnte man den Dienst auch nicht anbieten.
Dazu gehören: Inhalte Ihrer Dokumente, Fotos, Musik oder Videos, die Sie auf einen Microsoft-Dienst wie Microsoft OneDrive hochgeladen haben.
3. Windows 10 speichert Bitlocker-Key automatisch in der Cloud
Ebenfalls für großes Aufsehen in den Medien sorgte die angebliche Tatsache, dass Windows 10 den BitLocker-Key zum Entschlüsseln der Festplatte automatisch auf OneDrive, sprich in der Cloud speichere. Dadurch könnten Hacker unter Umständen an diesen Schlüssel kommen, um damit auf die Daten einer verschlüsselten Festplatte zuzugreifen.
Bei den Surface-Geräten von Microsoft ist das von Beginn an Standard und möchte man ein solches Wiederherstellen, muss man sich unter OneDrive anmelden und den Schlüssel anfordern. Unter Windows 10 geschehe der Upload automatisch, suggerieren viele Überschriften, was schlichtweg nicht stimmt. Beim Einrichten der BitLocker-Festplattenverschlüsselung wird der Nutzer gefragt, auf welche Weise der Schlüssel gespeichert werden soll. Dem Anwender werden drei Optionen angeboten und zwar das Speichern mit dem Microsoft Account, als Datei oder ausgedruckt. Übrigens gibt es diese Funktion bei Apples FileVault schon seit Jahren, beschwert hat sich bisher allerdings niemand.
4. Windows 10 kann raubkopierte Spiele deaktivieren
Windows 10 soll die Festplatte nach illegal heruntergeladenen Spielen durchsuchen und diese deaktivieren können, lautete eine Anschuldigung an das System, die erst seit wenigen Tagen die Runde macht. Dabei ist sie so absurd und skurril, dass man sich schwer tut, ihr zu glauben. Tatsächlich ist auch diese Meldung, die viele Medien in der Gestalt veröffentlichten, frei erfunden und steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu Windows 10.
Microsoft behält sich das Recht vor, den Onlinezugang zu Microsofts Spieleservern zu deaktivieren, wenn man feststellt, dass eine illegal heruntergeladene Version dieses Spiels ausgeführt wird. Das handhaben EA, Valve, Sony und praktisch gesehen alle Publisher nicht anders, denn wieso sollte der Hersteller seine Ressourcen für jemanden zur Verfügung stellen, der nicht dafür bezahlen will? Hier ist ein Auszug aus dem offiziellen Lizenzvertrag der PlayStation 4:
Zu diesen Diensten kann die Bereitstellung der neuesten Aktualisierung oder der Download neuer Versionen der Systemsoftware, die Sicherheitspatches enthalten, sowie neuer Technologie oder überarbeiteter Einstellungen und Funktionen zählen, die den Zugriff auf unautorisierte oder raubkopierte Spiele und Inhalte oder die Anwendung nicht autorisierter Hardware oder Software in Verbindung mit Ihrem PS4-System verhindern.
Georg Binder vom WindowsBlog.at erklärt es anhand eines hervorragenden Beispiels: Ein Linux-Anwender lädt sich ein Spiel illegal herunter und will auf den Multiplayer – also einen Gameserver von Microsoft – zugreifen. Das weiß Microsoft, wie jedes andere Unternehmen auch, zu verhindern und sperrt ihm den Zugang. Auf ihn findet natürlich nicht die Windows 10-EULA Anwendung, aber durchaus Microsofts Servicevertrag. Dieser regelt die Bedingungen für die Nutzung von Microsoft Diensten, welche auch, aber nicht nur auf Windows 10 genutzt werden können. Das Verhindern des Zugangs auf Online-Dienste von manipulierten („gecrackten“) Spielen ist eine der grundlegenden Aufgaben eines Game-Servers, ein Standard seit es Multiplayer-Spiele gibt. Nicht anders lautet Boris Schneider Johnes Aussage diesbezüglich:
5. Windows 10 ist nach einem Jahr kostenpflichtig
Am letzten sehr interessanten Missverständnis trägt Microsoft eine, wenn auch geringe, Mitschuld. Denn im Januar äußerte das Unternehmen, das Upgrade auf Windows 10 sei im ersten Jahr kostenlos. Grundsätzlich ist die Aussage eindeutig genug formuliert worden. Manche Medien interpretieren sie aber anders. Nach Ablauf des ersten Jahres sei für die Verwendung von Windows 10 zu zahlen, also eine Form von Abomodell wie bei Office 365 oder WhatsApp.
Das stimmt selbstverständlich nicht und Microsoft hat dies auch mehrmals bekräftigt. Wer Windows 7 oder 8.1 derzeit auf seinem Computer verwendet, der kann innerhalb des ersten Jahres, sprich bis zum 29. Juli 2016, kostenlos auf Windows 10 aktualisieren und es dann für die Dauer der Lebenszeit des Geräts kostenlos behalten. Nutzt man die Möglichkeit nicht bis dahin, erhält man Windows 10 nicht mehr kostenlos, sondern muss es erwerben.
Schlusswort
Microsoft sieht sich immer wieder mit solchen Nachrichten konfrontiert und viele kritische Meldungen zum aktuellsten Betriebssystem sind oftmals übertrieben oder entspringen gänzlich der Kreativität ihrer Autoren. Vereinzelte Fehler sind nie auszuschließen, aber bei dieser Dichte an Falschmeldungen ist an Flüchtigkeitsfehler mittlerweile schwer zu glauben. Die neue Währung im Online-Journalismus heißt Click und um diese zu generieren, treten viele Journalisten ihre Berufsethik mit Füßen.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Microsoft soll mithilfe dieser Sammlung in keine Opferrolle gedrängt werden. Manche Kritik ist sicher berechtigt, sollte aber zumindest angemessen diskutiert oder relativiert werden, wenn der betroffene Aspekt seit Jahren in anderen Systemen zum Standard zählt. Hier messen einige Journalisten mit zweierlei Maß. Weshalb sie dasselbe bei Apple nicht machen? Auf kritische Headlines gegen das Unternehmen aus Cupertino folgt unter Umständen der Anruf eines Mitarbeiters der PR-Abteilung, welcher einem freundlich mitteilt, dass man künftig bei den Präsentationen nicht mehr zu Gast sein dürfe und man künftig keine Testgeräte mehr stellen werde. Seit Bentgate geht es beispielsweise der Computerbild so.
Quellen: Windows 10 EULA, Microsoft Servicevertrag