Bots sind in aller Munde. So manch Einer prophezeit sogar schon das Ende aller Apps – zugunsten von Bots. Da Microsoft bekanntermaßen ein App-Problem hat, würde sich das gut treffen – doch was ist da überhaupt dran? Was können Bots jetzt schon, was werden sie in Zukunft können? Wie ist Microsoft aufgestellt, und welche Auswirkungen hätte es, wenn die Bots sich durchsetzen sollten?
Wo werden Bots bereits heute genutzt?
Die Frage, wo (Chat-)Bots bereits heute genutzt werden, stellt sich gleich in doppelter Hinsicht: Sowohl geographisch, als auch anwendungsbezogen. Denn in asiatischen Ländern sind Chatbots bereits Realität geworden. Dort kann man beobachten, wie beispielsweise Nutzer des Messengers „WeChat“ in ebendieser App mit Bots chatten. Sie tun dies freilich nicht zum Spaß, sondern um verschiedenste Bestellungen oder Finanztransaktionen zu tätigen. Doch auch in heimischen Gefilden wird fleißig mit Bots gechattet, oft sogar unwissentlich: Erst vor kurzem sorgte die Dating-Plattform „Lovoo“ für Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass dort Nutzer mit Hilfe von Chatbots dazu verleitet wurden, kostenpflichtige Funktionen in Anspruch zu nehmen. Doch auch Beispiele für den legitimen Einsatz von Bots lassen sich leicht finden: So haben beispielsweise im bekannten Messenger Telegram die Bots bereits Einzug gehalten: Ein Amazon-Bot gibt Auskünfte zu Preisen von Artikeln beim Onlineversandhändler Amazon, Nachrichtenbots gibt es sowieso zuhauf, und auch ein Bundesliga-Tippspiel unter Freunden lässt sich in einem Gruppenchat durch einen Bot organisieren.
Bei der neuesten Auflage von Facebooks Entwicklerkonferenz F8 ist auch das soziale Netzwerk aus Palo Alto vorgeprescht. Die Liste der verfügbaren Bots ist angesichts der kurzen Zeitspanne, die seitdem vergangen ist, beeindruckend lang: Die in Amsterdam beheimatete Fluggesellschaft „KLM“ bietet Ihren Kunden die Möglichkeit, sich via Messenger über Änderungen am Flugplan benachrichtigen zu lassen. Wer dazu beispielsweise seinen Sitzplatz tauschen möchte, kann dies auch einfach per Messenger tun. Allerdings ist dabei nicht ganz klar, ob auch diese Sitzplatzänderungen automatisiert oder von Menschen bearbeitet werden. Der HP Print Bot veranlasst den Druck von ihm zugesandten Dokumenten, der Expedia-Bot ermöglicht das Suchen und Buchen von Hotels direkt im Messenger. Wer von A nach B gebracht werden will, dem hilft der Uber Bot weiter. Neben diversen Bots zum Tätigen verschiedenster Bestellungen beantwortet der Bot der US-Kinokette Fandango sogar Fragen zum aktuellen Kinoprogramm zuverlässig. Er kann zudem auf Wunsch Trailer versenden und auch Buchungen initiieren.
Wie sieht die Zukunft aus?
Facebook deutet bereits an, wie es sich die Zukunft vorstellt: Mit „M“ testet Facebook bereits seit Sommer 2015 einen Dienst, der Nutzern seines Messengers im Alltag weiterhilft: Man kann „M“ anschreiben und Fragen stellen, Artikel im Internet bestellen lassen, Kinotickets kaufen lassen, Restauranttische reservieren lassen und vieles mehr. Nicht wirklich neu, möchte man meinen. Wer wissen will, wie breit der Bodensee ist, der bekommt von Cortana nach ca. 1 Sekunde die Antwort. Sie kann auch Restaurants vorschlagen und (zumindest in den USA) Kinotickets buchen. Bei der Konkurrenz, namentlich Apple und Google, sieht es ähnlich aus. Trotzdem ist Facebooks Dienst etwas Besonderes: Denn dahinter steht kein Bot, sondern echte Menschen, die die Anfragen beantworten. Das hat den immensen Vorteil, dass nicht plötzlich eine Bing-Suche ausgeführt wird, wenn die Frage nach „Wetter Stuttgsrt“ gestellt wird – sondern das Wetter für Stuttgart zurückkommt, trotz kleinem Tippfehler. Auch „kreative“ Varianten des Satzbaus sind so kein Problem. Wer einmal irgendeinen der digitalen Assistenten benutzt hat, wird diese frustrierenden Momente sicher kennen.
Kurzum: Der Umgang mit Facebooks Assistenten ist nicht mehr frustrierend, sondern fühlt sich menschlich an – weil er es ist. Doch auch das ist nicht wirklich neu: Sogenannte Concierge-Services bieten (vor allem für besonders zahlungskräftige Kunden von Banken) auch in Deutschland menschliche Assistenten, auf die via Telefon stets zurückgegriffen werden kann. Das Interessante an Facebooks Dienst aber ist, dass er von Facebook kommt. Facebook ist ein IT-Konzern und sehr ambitioniert, was die Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz angeht. Künstliche Intelligenz wiederum ist die Zutat, die ein Bot benötigt, um wirklich hilfreich und „menschlich“ zu sein, wie Facebooks M – sonst handelt es sich dabei letztlich um nicht mehr als eine aufgehübschte Kommandozeile.
Es ist daher keine wirklich riskante Wette zu sagen, dass Facebook wohl auf kurz oder lang auch „M“ durch eine künstliche Intelligenz realisieren wollen wird – denn genug menschliches Personal, um die Fragen der aktuell knapp 1,7 Milliarden Facebook-Nutzer zu beantworten, dürfte sich Facebook nicht leisten wollen. Durch eine KI würde diese Problematik natürlich umgangen. Da sich der Facebook Messenger durchaus großer Verbreitung erfreut, und Facebook den KI-betriebenen Dienst vermutlich kostenlos zur Verfügung stellen würde, könnte die Nutzung des praktischen Concierge-Dienstes durchaus zum Alltag werden. Und damit ist die Brücke zu Microsofts App-Problem geschlagen:
Was spricht für die Bots?
Wenn die Nutzer per formloser Nachricht schneller und bequemer als über eine App Kinotickets bestellen können, werden sie dies früher oder später tun. Die App würde dann nicht mehr gebraucht, und an ihrem möglichen Fehlen auf der Windows-Plattform würde sich niemand mehr stören. Überhaupt bieten Bots den Vorteil, dass man sie nicht mühsam herunterladen und installieren muss, und sie belegen auch keinen Speicherplatz auf dem Gerät. Ein Bot im Messenger funktioniert auch bei langsamer (gedrosselter) Internetverbindung noch passabel, ganz im Gegensatz zu den meisten Webseiten oder auf eine Internetverbindung angewiesene Apps.
Die für die Bots benötigte künstliche Intelligenz ist mittlerweile weit vorangeschritten, das hat Google auf seiner diesjährigen Entwicklerkonferenz I/O gezeigt: In Googles neuem Messenger „Allo“ liest die KI immer mit. Sie schlägt dem Nutzer nicht nur individuelle Antworten auf eingehende Fragen und Bilder vor, die dann per Tippen gesendet werden, sondern sie erkennt eben auch, wenn es in einem Chat beispielsweise um das Treffen in einem Restaurant geht und bietet gleich an, sich um die Reservierung zu kümmern. Man sollte natürlich im Hinterkopf behalten, dass das Gezeigte eine Demonstration war. Der Beweis, dass das Gezeigte auch in der Realität so reibungslos funktioniert, steht noch aus. Dennoch scheint künstliche Intelligenz mittlerweile in der Lage zu sein, den Kontext eines Dialoges korrekt zu erfassen.
Was die Lernfähigkeit von Bots angeht, hat Microsofts vordergründig gescheitertes Experiment „Tay“ gezeigt, was möglich ist. Der twitternde Bot übernahm irgendwann die rassistischen und sexistischen Ansichten, die ihm von den Tweets an ihn vermittelt wurden.
Die IT-Riesen und darüber hinaus auch zahlreiche kleine, spezialisierte Firmen, liefern sich derzeit einen harten Wettkampf. Sie investieren nicht unerhebliche Summen in die Entwicklung immer besserer künstlicher Intelligenzen, Bots und Assistenten. Auch wenn die meisten Bots derzeit nicht viel mehr als bessere Kommandozeilen sind, so ist der Fortschritt daher durchaus spürbar.
Wie ist Microsoft aufgestellt?
Die Bots sind ein Fall, in dem man Microsoft nicht vorwerfen kann, das Potential nicht erkannt zu haben. Ein Framework, wie das von Microsoft vorgestellte Bot Framework, lässt sich nicht in kurzer Zeit aus dem Boden stampfen – man kann davon ausgehen, dass Microsoft da schon länger dran gearbeitet hat. Microsoft hat darüber hinaus erst vor wenigen Tagen die 2013 gegründeten „Wand Labs“ übernommen. Wand entwickelte bislang für iOS einen Messenger. Die Besonderheit an diesem Messenger ist die bereits von Anfang an enge Verzahnung mit verschiedenen anderen Diensten und Chatbots. Der Wand-CEO veröffentlichte ein Statement zur Übernahme seines Unternehmens: Die ehemaligen Mitarbeiter Wands werden in Zukunft in den Bereichen „intelligent agents“ (intelligente Chatbots) und „cognitive services“ (die Analyse von menschlicher Sprache, Text und Emotionen) neue Produkte für Microsoft entwickeln. Auch Microsoft baut sein Engagement im Bereich der künstlichen Intelligenz weiter aus. Die zugekaufte Expertise dürfte auch in den (indirekt) angekündigten „Bing Concierge Bot“ einfließen. Zu besagtem Bot sind zwar bislang nicht besonders viele Details verlautbart worden, er gilt aber als Antwort auf den vor kurzem überarbeiteten Google Assistant.
Was künstliche Intelligenz angeht, bietet Microsoft ansonsten noch die Cortana Intelligence Suite an. Dabei handelt es sich um verschiedene cloudbasierte Werkzeuge zur Analyse von Daten – also auch kein Endkundenprodukt. In diesem Punkt unterscheidet sich Microsofts Strategie von der Googles: Während man in Mountain View vor allem künstliche Intelligenz in Form von verschiedenen Diensten direkt für Endanwender (im Prinzip alles, was Google im Namen hat) anbietet, hat Microsoft darüber hinaus auch Dienste im Angebot, die andere Entwickler in ihre Produkte einbinden sollen. Letztlich dürften diese Dienste aber auch das sein, was hinter Microsofts eigenen Endkundenprodukten wie Cortana steht.
Damit hat Microsoft möglicherweise einen klugen Schachzug getan: Künstliche Intelligenz ist eine hochkomplizierte Angelegenheit und hat verschiedene Teilgebiete. Doch essentiell ist stets, welche und wie viele Daten der KI zur Verfügung stehen. Dadurch, dass Microsoft durch die Cortana Intelligence Suite nicht nur Daten aus Microsofts eigenen Anwendungen verarbeiten kann, sondern auch die der angeschlossenen Dienste von Drittanbietern, wird das Maschinenlernen weiter verbessert, was dann auch Microsoft wieder zugutekommt. Und das ist auch nötig, denn der Konkurrenz in Form von Google und Amazon wird zumindest nachgesagt, Microsoft voraus zu sein. Amazon ist nicht nur ein großer Onlinehändler, sondern bietet mit den „Amazon Web Services“ auch sehr erfolgreich verschiedene IT-Dienstleistungen an.
Was ist denn jetzt mit den Apps?
Was das angeht, befindet sich Microsoft in einer ähnlichen Situation wie Facebook. Facebook hat nämlich keinen eigenes mobiles Betriebssystem und keinen App-Store. Das hat für Facebook verschiedene Nachteile: Einerseits bietet Facebook Dienste an, die mit denen von Google und Apple konkurrieren: Der Facebook Messenger (und WhatsApp) gegen Googles Allo und Apples iMessage. Da die hauseigenen Dienste von Google und Apple bei Android bzw. iOS vorinstalliert sind, haben diese einen gewissen Vorteil. Auch ist Facebook in den App Stores nur eine App unter vielen. Facebook ist, was seine App angeht, zudem von Apple und Google abhängig, die diese in ihren Stores listen. Es muss sich den jeweiligen App-Store-Regeln unterwerfen und kann nicht bestimmen, wie sich das zugrunde liegende Betriebssystem entwickelt. Und auch zu den wertvollen Daten der Nutzern hat es nur eingeschränkten Zugang. Microsoft ist zwar auf dem Markt der mobilen Betriebssysteme vertreten, aber momentan damit nicht besonders erfolgreich. Die geringe Verbreitung von Windows Phone/Mobile kommt der Situation, keine entsprechende Plattform zu besitzen, daher relativ nahe. Microsoft bietet sogar noch mehr Dienste als Facebook, die in Konkurrenz zu denen von Google und Apple treten.
Für Facebook und Microsoft wäre es daher ein großer Erfolg, die Nutzer an ihre Dienste zu binden. Entweder direkt, über den Messenger bzw. Skype, oder dann auf Microsoft bezogen zumindest indirekt, wenn die eigene Cloud-Infrastruktur im Hintergrund verwendet wird.
Würden die Smartphone-Nutzer die Verwendung von Bots der Verwendung von Apps vorziehen, würde so eine Art Betriebssystem über dem Betriebssystem geschaffen. Dadurch stünden Microsoft und Facebook mehr Daten zur Verfügung, die analysiert werden könnten. Anstelle der Betriebssysteme von Google und Apple müssten sich Drittanbieter in die Ökosysteme der Bot-Plattformen integrieren. Die Betriebssystemhersteller wären zudem zur Rücksichtnahme auf die Messenger-Anbieter angewiesen, denn deren Verlust würde dann vergleichbar mit dem Verlust tausender Apps in den herkömmlichen App-Stores.
Für Microsoft und das Windows-Phone-App-Problem bietet das zugleich Chancen und Risiken. Man könnte einerseits auf den konkurrierenden Plattformen einen sprichwörtlichen Fuß in die Tür bekommen, die Nutzer dort in die eigenen Dienste (ob nun direkt oder indirekt) locken und so den Nachteil einer nicht weit verbreiteten eigenen mobilen Plattform wett machen. Da die Bots außerdem unabhängig vom verwendeten Betriebssystem sind, sondern nur einen Messenger voraussetzen, könnten auf diesem Wege tatsächlich die Dienste bislang nicht im Windows Store vertretener Firmen ihren Weg auf Windows-Geräte finden. Natürlich wird es aber auch weiterhin viele Apps geben, die sich nicht einfach durch Bots ersetzen lassen. Spotify, Instagram, YouTube und Snapchat sind lediglich Beispiele dafür. Möglich ist auch, dass viele Dienste in eingeschränkter Fassung über Bots nutzbar sind, um alle Funktionen zu nutzen aber weiterhin eine eigene App installiert werden muss. Da eine App-Installation Kundenbindung bedeutet, haben viele Unternehmen ja auch weiterhin Interesse daran, dass man ihre Apps installiert.
Sollte außerdem das Bot-Szenario eintreten und Pizza in Zukunft tatsächlich über den Facebook Messenger bestellt werden: Würde Facebook dann irgendwann beschließen, die Unterstützung für Microsofts Betriebssystem einzustellen, wäre das definitiv der Todesstoß für die Plattform. Sollte es Microsoft jedoch gelingen, Cortana oder Skype stärker als Bot-Plattform zu positionieren, bestünde diese Abhängigkeit nicht mehr. Ein weiteres mögliches Problem mit Bots dürfte jedoch die Lokalisierung werden: Gerade viele Cortana-Features sind bislang hierzulande nicht verfügbar. Ähnliches gilt für Siri und Google Now – insgesamt sprechen viele Bots schlechtes Deutsch.
TL;DR: Dass Bots tatsächlich die Apps ablösen, ist unwahrscheinlich. Sie werden diese wohl eher ergänzen, vielleicht in Teilen auch ersetzen. Das bietet auch durchaus Chancen für Redmonds mobiles Betriebssystem. Allerdings macht man sich dadurch auch Abhängig von den Bot-Plattformen wie dem Facebook Messenger, da diese dann im Prinzip einen weiteren App-Store darstellen. Fürs Erste sind jetzt aber erstmal die Bot-Entwickler dran, die zeigen müssen, dass Ihre Bots mehr als bloße Kommandozeilen sind.
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