Editorial

Windows-Nutzer: Microsofts Kunden zweiter Klasse?

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Immer wieder vernimmt man aus den Reihen der Nutzer von Windows Mobile Klagen, man sei nur Microsoft-Nutzer zweiter Klasse und stehe immer den iOS- und Android-Nutzern hinten an. Doch was ist dran an diesen Behauptungen? Steht sie in keinem angemessenen Verhältnis zu den Tatsachen oder verbirgt sich in ihr ein nicht zu verachtender wahrer Kern? Im Folgenden eine Betrachtung zu Microsofts Umgang mit den Nutzern seiner mobilen Plattform.

Status quo

Bei Microsofts Build-Konferenz im Jahr 2015 gab sich CEO Satya Nadella noch Mühe, den Eindruck, man vernachlässige die Nutzer der eigenen Plattform, zu vermeiden. Er betonte, Windows-Geräte seien auch in Zukunft die beste Möglichkeit, um die Microsoft-Dienste zu erleben. Bei der diesjährigen Build blieb ein solches Bekenntnis zu Windows Mobile aus. Stattdessen gab es die Aussage, Windows Mobile stehe dieses Jahr nicht im Fokus. Das wirft die Frage auf, wann es endlich im Fokus stehen wird.

Skype ist ein Paradebeispiel dafür, wie wenig glamourös die „Microsoft Experience“ derzeit auf Windows Phone bzw. Windows 10 Mobile ist. Bereits zu Zeiten von Windows Phone 7 war Skype unter Windows Phone, offen gesagt, ein Graus. Die Erstveröffentlichung der Skype-App für Windows Phone erfolgte im Februar 2012, ist also bereits mehr als vier Jahre her. In diesen vier Jahren ist einiges passiert. Microsofts übernahm Nokia, es gab einen Führungswechsel bei Microsoft, der Marktanteil im mobilen Bereich stieg etwas – und nun fällt er wieder. Nur die Skype-App zeigt eine beeindruckende Konsistenz: Sie zu benutzen ist nach wie vor grausam, wenngleich auch nicht mehr ganz so schlimm, wie am ersten Tag. Die App ist langsam, Funktionen fehlen und es fällt nicht schwer, Fehler zu entdecken – einige mehr, andere weniger gravierend. In Zeiten von Windows Phone 7 konnte man der von Microsoft entgegengebrachten Entschuldigung dafür noch Glauben schenken. Diese lautete, man habe Skype erst vor Kurzem übernommen und müsse daher den Rückstand gegenüber den bereits vorhandenen iOS- und Android-Versionen erst aufholen. Da die Skype-Akquise im Oktober 2011 abgeschlossen wurde, kann man den Zustand der Skype-App im Jahr 2016 auf diese Weise jedoch nicht mehr begründen. Stattdessen scheint Microsoft die eigene Plattform klar hintenanzustellen, und die Konkurrenzplattformen iOS und Android zu bevorzugen.

Beim mobilen Office zeigt sich ein ähnliches Bild. Microsoft Office für die mobile Windows-Plattform gibt bereits seit Windows Mobile 5, und damit deutlich länger als für iOS und Android – die beiden Systeme gab es zu dieser Zeit noch nicht. Allerdings muss man leider sagen, dass sich lange Zeit wenig am mobilen Microsoft Office für Windows-Geräte getan hat. Bis einschließlich Windows Phone 8.1, welches immer noch auf vielen Geräten zum Einsatz kommt, ist Microsofts mobile Office-Lösung nicht einmal ansatzweise mit den zwischenzeitlich veröffentlichten Versionen für die beiden Konkurrenzplattformen vergleichbar. Es wirkte wie blanker Hohn gegenüber den treuen Nutzern des eigenen Mobilbetriebssystems, als Microsoft dann noch auf Apples Bühne bei der Präsentation des iPad Pro seine Office-Suite für iOS anpries. Erst seit Windows 10 Mobile ist hier Besserung eingetreten.

Auch die Office Lens wird unter iOS und Android in letzter Zeit deutlich häufiger mit Updates versorgt, als auf der eigenen Plattform.

Gut ins Bild passen dazu die zahlreichen mehr oder weniger sinnvolle Apps wie etwa „Microsoft Fetch„. Diese App dient zur Demonstration der Möglichkeiten von Microsofts Cloud-Plattform Azure und kann auf Fotos die Rasse aufgenommener Hunde bestimmen. Windows Mobile-Nutzer bleiben allerdings leider außen vor. Die Frage, wie ernst es Microsoft mit der Nutzerschaft seiner mobilen Plattform meint, ist also mehr als berechtigt. Umso mehr in Zeiten fallender Marktanteile stellt sich so auch die Frage, ob Microsoft seine Plattform Windows Mobile nicht bereits aufgegeben hat.

Was die Zukunft bringt

Microsoft Lumia 950 Review Rückseite Seite usb c port

Auf der anderen Seite finden sich aber auch zahlreiche Argumente, die Microsofts Engagement für seine mobile Plattform in einem weitaus positiveren Licht erscheinen lassen.

Nehmen wir hierfür zunächst wieder die Skype-App als Beispiel. Neben der eigentlichen Skype-App hat sich mit Windows 10 Mobile immerhin etwas getan: Skype ist nun direkt in die Nachrichten-App integriert, wie man es von einem Microsoft-eigenen Dienst in einem Microsoft-Betriebssystem ja eigentlich auch erwartet. Und das funktioniert, von kleineren Fehlern mal abgesehen, sogar gut – aber die Veröffentlichung von Windows 10 Mobile ist ja auch noch nicht so lange her. Einzelne Bugs seien daher vorerst verziehen. Da auch Videotelefonie via Skype im Betriebssystem verankert ist, benötigt man die Skype-App zumindest zur Nutzung der grundlegenden Funktionen des Dienstes nicht mehr.

Allerdings erscheint es verwunderlich, dass Microsoft für das nächste Release von Windows 10 Mobile anscheinend plant, diese enge Verzahnung wieder rückgängig zu machen. Immerhin arbeitet Microsoft dafür aber an einer neuen Universal App für Skype. Dass diese nicht mehr der unrühmlichen Tradition aller vorangegangenen Skype-Apps für Windows (Mobile) folgt, bleibt zu hoffen. Wenngleich man Microsoft in Bezug auf die Skype-Nutzung unter Windows Phone und Windows 10 Mobile sicher eine gewisse Planlosigkeit (das ständige Hin- und Her dürfte Nutzerzahlen und -erlebnis jedenfalls nicht zuträglich sein) vorwerfen kann, so kann zumindest kein fehlendes Engagement attestiert werden. Vorausgesetzt, die kommende Skype UWP-App entpuppt sich nicht wieder als Reinfall und wird zukünftig auch gepflegt.

Auch die mobilen Office-Apps passen in dieses Bild. Angesichts starker Konkurrenz, beispielsweise durch die Google-Apps, kann man sicher davon ausgehen, dass sich niemand ein Windows-Telefon kauft, nur um unterwegs Microsoft Office nutzen zu können. Stellt man seine Dienste für die konkurrierenden Plattformen zur Verfügung, schadet man sich also nicht selbst. Dass Microsoft an dieser Stelle daher auf die Nutzer der Konkurrenzplattformen zugeht und seine Dienste dort zur Verfügung stellt, ist vernünftig und durchaus verständlich. Auch unter einem weiteren Gesichtspunkt erscheint dies sinnvoll: Nutzt beispielsweise ein Android-Nutzer die Google-Office-Apps (Docs), könnte er den Umstieg zu einem Windows-Telefon durchaus scheuen, wenn er bemerkt, dass diese Apps nicht für Windows verfügbar sind. Nutzt er hingegen die Microsoft-Office-Apps, dürfte die Migration weitaus weniger schwerfallen. Wenngleich mit dieser Strategie sicherlich nicht direkt neue Windows Mobile-Nutzer rekrutiert werden, so werden auf jeden Fall Hürden für den Umstieg abgebaut. Mit Windows 10 Mobile sind die Office-Apps schließlich auch durchaus ansehnlich geworden und erhalten bislang auch regelmäßige Updates. Viele Gründe, sich über sie zu beschweren, gibt es jedenfalls nicht.

Zur Office Lens gibt es ebenfalls Gerüchte, dass Microsoft an der Veröffentlichung einer Universal Windows App arbeitet. Sollte dies der Fall sein, ist es nachvollziehbar, dass man nicht noch Entwicklungsaufwand in eine App-Version stecken will, die bald den Legacy-Tod sterben wird. Sollte sich die Veröffentlichung der App als Universal Windows App bewahrheiten, gibt es auch hier keinen Grund mehr, Microsoft zu rügen. Im Gegenteil, denn eine UWP-Version der App wäre ein deutlicher Schritt nach vorne. Man stelle sich beispielsweise vor, wie man die App dann in Zukunft auf einer HoloLens verwenden könnte: Man sieht ein Dokument bloß an und hat es Sekunden später als PDF in der OneDrive gesichert.

Es bleiben die Apps wie „Xim“, „Fetch“ und „Tossup“, die nicht für die hauseigene Mobilplattform verfügbar sind. Diese Apps haben gemeinsam, dass sie – wie in Bezug auf Fetch bereits eingangs erwähnt – den Zweck haben, die Möglichkeiten und Konzepte von Microsofts Diensten (wie etwa Azure) zu demonstrieren. Man sollte sich allerdings vergegenwärtigen, welche Bedeutung diese Apps innehaben: Es ist kaum denkbar, dass Microsoft plant, die rückläufigen Windows-Einnahmen in Zukunft durch einen Service zur Erkennung von Hunderassen auszugleichen. Jedenfalls nicht direkt: Während man in Redmond natürlich Geld mit den dahinterstehenden Technologien wie dem Cloud-Dienst „Microsoft Azure“ und beispielsweise der jüngst auf der Build 2016 vorgestellten „Cortana Intelligence Suite“ Geld verdienen möchte, so dienen die Microsoft-Garage-Apps wie „Fetch“ ja lediglich zur Demonstration dieser Technologien. Diese Apps sind also spielerische und lediglich nett verpackte Werbung für Microsofts eigene Dienste. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ist auch hier einleuchtend, warum Microsoft diese Apps nicht für die eigene Plattform anbietet: Werbung soll den potenziellen Kunden ja schließlich erreichen. Und da muss man sich leider eingestehen, dass man die potenziellen Kunden derzeit leider nicht über Windows 10 Mobile erreicht. Zur Erinnerung: Zuletzt berichteten wir über 0,7 Prozent Marktanteil unter den Smartphone-Neuverkäufen. Auch wenn es daher schön wäre, diese Apps auch unter Windows 10 Mobile nutzen zu können, sollte man Ihr Fehlen nicht überbewerten.

Windows Phone 8.1

Nokia Lumia 630 Info Windows Phone 8.1

Es bleibt anzumerken, dass sich die vorangegangenen Zeilen vor allem auf Windows 10 Mobile beziehen, weniger auf Windows Phone 8.1. Hier sieht die Lage leider etwas anders aus: Erst vor Kurzem gab Microsoft unumwunden zu, dass beispielsweise die Funktion, Videonachrichten zu versenden, die Skype-App für diese Plattform nicht mehr erreichen wird. Auch bei den Office-Apps besteht keinerlei Grund anzunehmen, dass Microsoft hier jemals überhaupt noch ein Update veröffentlichen wird. Gleiches gilt für die Office Lens. Die alte Plattform wurde von Microsoft also allem Anschein nach bereits fallen gelassen.

Auch wenn das aus der Perspektive von Microsoft ökonomisch sinnvoll erscheinen mag – den erhofften Durchbruch auf dem Smartphonemarkt bewirkte Windows Phone 8 nicht-, so ist es vor allem für die verbliebenen Nutzer eines Windows Phone-8.1-Gerätes sehr ärgerlich, für die kein Update auf Windows 10 Mobile angeboten wird. Vermutlich denkt man sich bei Microsoft, dass das Kosten-/Nutzen-Verhältnis dagegen spricht, die alte Plattform weiter zu unterstützen. Aus rein finanzieller Perspektive mag das vermutlich auch zutreffen. Trotzdem sendet dies das falsche Signal. Und wer jetzt ein Gerät hat, das von Microsoft keine Unterstützung mehr erhält, wird sich beim nächsten anstehenden Smartphone-Kauf sicherlich zweimal überlegen, ob es denn noch Mal ein Windows-Gerät werden soll. Und Microsoft ist eigentlich nicht in der Position, sich leisten zu können, Nutzer zu vergraulen.

Schlusswort

Insgesamt lässt sich resümieren, dass Microsoft zwar auf den ersten Blick viel Anlass zur Kritik bietet, man unterstütze seine eigene Plattform nur halbherzig. Bei genauerer Betrachtung finden sich jedoch einige Anzeichen, die dafürsprechen, dass man sich zumindest für die aktuelle Plattform Windows 10 Mobile durchaus Mühe gibt, die Nutzer der eigenen Plattform nicht hinter iOS- und Android-Nutzern hintenanzustellen. Die Gründe, warum bei Windows-Nutzern oft doch Frust aufkommt, sind von Fall zu Fall verschiedener Natur.

Es besteht aber Hoffnung, dass sich in absehbarer Zukunft am Status quo etwas ändert: Man will diverse Dienste für Windows 10 Mobile als runderneuerte Universal Windows Apps anbieten, was schlicht noch etwas Wartezeit in Anspruch nimmt. Nutzer von Windows Phone 8.1 werden von diesen neuen Apps jedoch wohl nicht profitieren können. Gerade in Anbetracht des gebrochenen Upgrade-Versprechens ist bei Nutzern von nicht-upgradefähigen Smartphones das Gefühl, Nutzer zweiter Klasse zu sein, mehr als nachvollziehbar. Es bleibt daher spannend, was Microsoft in Zukunft auf die mobile Windows-Plattform bringen wird: Es ist Zeit, das einst von Satya Nadella gegebene Versprechen einzulösen.

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Seit 2011 in der Windows-Phone-Welt unterwegs, derzeit hauptsächlich mit einem Lumia 950. Ansonsten 20 Jahre alt und Informationstechnik-Student.
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