Viele unserer Leser verwenden mittlerweile ein Android-Smartphone, weswegen es auch eine WindowsArea.de-App im PlayStore gibt, welche schon bald um viele praktische Funktionen erweitert wird. Als ein nicht mehr allzu kleiner Blog sind wir im Presse-Verteiler vieler Hersteller und bekommen daher stets angeboten, unterschiedliche Geräte zu testen, darunter auch Android-Smartphones. Normalerweise lehnen wir dankend ab mit der Erklärung, dass uns das als Windows-Magazin auf gar keinen Fall interessiert oder wir antworten gar nicht darauf.
Als kürzlich aber Huawei die Verfügbarkeit einiger Testgeräte anmeldete, sagte ich aus irgendeinem Grund zu. Ich hatte ohnehin bereits in Planung, die Microsoft Experience unter Android zu testen, vor allem, nachdem das Unternehmen angekündigt hat, in Zukunft auch Samsung Galaxy S8-Smartphones in der „Microsoft Edition“ in den eigenen Stores zu verkaufen. Ich wollte sehen, wie weit ich als jemand, der sich in Microsofts Ökosystem zuhause fühlt, eine Xbox besitzt, einen PC benutzt und auf sämtliche Office 365-Dienste vertraut, Android als Alltagssystem verwenden kann, vor allem auch im Vergleich mit Windows 10 Mobile, das ich gewohnt bin.
Mit dem Samsung Galaxy A5 (2016) hatte ich bereits ein durchschnittliches Mid-Range Android-Smartphone getestet, das so gut wie bei jedem Handyvertrag kostenlos daherkommt, und während ich vom Gerät durchaus beeindruckt war, fand ich die Software abscheulich. Die vorinstallierte Bloatware ist schlimmer als mancher ASUS-PC vor ein paar Jahren. Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: ASUS hat das Thema Bloatware heute in den Griff bekommen und daher will ich den Hersteller an dieser Stelle auch dafür loben. Was Samsung allerdings macht, fand ich schon frech.
Zum Huawei P10 Plus: Erste Eindrücke, Design, Hardware und Software
Das Huawei P10 Plus ist allerdings einerseits kein durchschnittliches Android-Smartphone, sondern ein Gerät, für das man sich bewusst entscheiden muss, das man wollen muss und für das man auch ordentlich etwas hinblättern muss. Der chinesische Hersteller lässt sich sein Flaggschiff von 2017 knapp 700 Euro (UVP sogar 799 Euro!) kosten und das soll es dem Kunden auch wert sein. Ausgestattet ist es mit aktueller Top-Hardware, darunter einem eigenen Kirin 960-Prozessor, 128 Gigabyte Speicher, der sich per MicroSD erweitern lässt und unglaublichen 6 Gigabyte an Arbeitsspeicher. Es gibt zwei Kameras mit 20 Megapixeln Auflösung und LEICA-Linsen auf der Rückseite und eine superweite 8 Megapixel-Selfie Kamera vorne.
Verarbeitung und Design: Verdammt, ist das ein iPhone 7 Plus?
Gehüllt ist das Huawei P10 Plus in ein außerordentlich hochwertiges matt-schwarzes Metallgehäuse, das wie aus einem Guss gefertigt wirkt. Auf der Rückseite oben findet sich ein verglaster Streifen, der die Kameras, den Blitz sowie die Leica-Schriftzug beheimatet, und erfreulicherweise schließt das Glas nahezu vollkommen nahtlos mit dem Gehäuse ab. Der grauenhafte Trend, dass Kameras hervorstehen und die Geräte rundherum dünner sind, endet beim Huawei P10 Plus. Es ist daher wahrscheinlich nicht das dünnste Gerät der Welt, aber dafür beheimatet es einen riesigen Akku mit 3750 mAh Kapazität. Und es ist trotzdem ein außerordentlich schlankes Smartphone.
Schöner als das iPhone 7
Es sieht einem iPhone 7 Plus zum Verwechseln ähnlich, allerdings findet sich statt dem Apple-Logo auf der Rückseite ein ganz dezentes Huawei-Branding und auch auf die Kamera-Auswölbung wird glücklicherweise verzichtet. Legt man die beiden Smartphones nebeneinander, würden ich aber das Huawei P10 Plus als designmäßig gelungener bezeichnen und bei der Verarbeitung schenken sich die beiden Geräte ohnehin nichts. Das Huawei-Flaggschiff verfügt aber im Gegensatz zum neuesten iPhone über einen USB Typ-C Stecker und einen 3,5 Millimeter-Kopfhöreranschluss.
Software: Android auf dem P10 Plus ist iOS
Was bei der Hardware beginnt, wird bei Huawei in Sachen Software konsequent fortgeführt. Der Launcher ist iOS-ähnlich, denn er hat nicht den Android-typischen App-Drawer, die Bedienelemente im System, Buttons, Schriften, Benachrichtigungen sowie die Farben sind etwas an iOS angelehnt, aber die mitgelieferten Apps, also Einstellungen, SMS, Telefon, Rechner und Co. sind eins zu eins von Apple abgekupfert. Das ist kein Zufall, sondern ich bin mir sicher, den Software-Programmierern bei Huawei hat man ein iPhone 7 in die Hand gedrückt und gesagt: Das wollen wir haben. Entsprechend passen die Huawei-Apps absolut gar nicht zum restlichen Android-System, wo das Material-Design dominiert. Die Hälfte aller mitgelieferten Apps ist von Google und die fühlen sich einfach anders an, passen nicht dazu. Mir persönlich ist das absolut nicht egal und Inhomogenität beim Design eines Betriebssystems finde ich ehrlich gesagt grauenhaft, aber das geht ja nicht jedem so. Es hätte nicht sein müssen, denn konsequent kopiert werden kann das iOS-Design ohnehin nicht unter Android. Für jemanden, der aber vom iPhone wechselt, sind die äußerst umfangreichen Android-Einstellungen so wesentlich einfacher zu bedienen, also hat es auch etwas Positives.
Micosoft-Apps
Für mich als bisherigen Windows 10- und Windows 10 Mobile-Nutzer sind die Microsoft-Anwendungen unter Android ein sehr wichtiges Thema und seit etwas mehr als zwei Jahren investiert Redmond sehr viele Ressourcen in diesen Bereich. Bislang hat sich das von den Nutzerzahlen eher nicht gelohnt, denn nur Excel konnte bislang die Google-Apps unter einholen und die OneDrive-Dominanz ist ganz klar dem Release von Windows 10 zuzuschreiben, nicht der Android-App.
Liegt es an ihrer Qualität? Wer jetzt ein ganz klares „Nein“ erwartet, den muss ich enttäuschen. Word, PowerPoint und Excel sind unter Android auf demselben Niveau wie unter Windows 10, OneDrive für Android ist etwas besser, aber Microsofts Vorzeige-App Outlook, für die man sogar Acompli für 200 Millionen übernommen hat, ist ein schlechter Scherz. Ich scheine mit dieser Meinung sehr allein zu stehen, wenn ich die zahlreichen sehr positiven Medienberichte ansehe, aber die PlayStore-Bewertungen geben mir eher Recht. 3,9 von 5 Sternen für die angeblich beste Email-App? Etwas schwach.
Mit Microsofts mobiler Mail-App unter Android hatte ich nur Probleme. Angefangen bei Emails mit demselben Betreff. Unser Android-Programmierer hat mir eine Mail geschickt mit dem Betreff „Build 2“, damit ich die neueste Version der WindowsArea.de-App testen kann. Diese Mail habe ich an Okan weitergeleitet. Suche ich nach dem Betreff „Build 2“ wird die empfangene Mail vom Programmierer zwar in der Suche gelistet, öffnet man sie aber, dann bekommt man nur die neueste gesendete Email. Man hat in der App keine Möglichkeit, ältere Mails desselben Betreffs aus der Suche zu öffnen. Das ist einfach nur ärgerlich und peinlich, aber bei der viel (und zurecht!) kritisierten Mail-App unter Windows 10 Mobile nicht vorgekommen. Von der chaotischen Synchronisation der Windows Phone-Kontakte über das Outlook-Konto will ich gar nicht sprechen. Von Outlook musste ich mich deswegen sehr schnell trennen, denn ich kann nicht darauf verzichten, Mails von unterschiedlichen Personen mit demselben Betreff, anzeigen zu können.
Der Arrow-Launcher von Microsoft kombiniert mit Cortana, die derzeit nur Englisch spricht, geben aber eine echt gute Figur ab und einige Funktionen davon würde ich mir auch für Windows Phone wünschen. Das Hamburger-Menü unten links in der Cortana-Android-App ist großartig und die Wunderlist-Integration in den Android-Homescreen ist für mich ein echtes Killer-Feature. Cortana kann sogar den Google Now-Shortcut ersetzen, allerdings bietet sie einige Funktionen weniger. Der Sync von Benachrichtigungen vom Android-Smartphone zum Windows 10 PC ist für mich aber unverzichtbar. Swiftkey ist am Huawei P10 Plus vorinstalliert und zählt zu den besten Android-Tastaturen im PlayStore. Im Vergleich zu WordFlow unter Windows Phone ist das Tippen unter Android wirklich schlecht, trotz tausdender Konfigurierungsoptionen. Googles GBoard ist vom Tippen her ganz gut, die automatische Korrektur, die ich unter Windows Phone gerne nutze, ist da allerdings grauenhaft. Bis heute kann das Android-Wörterbuch nicht die zweite Person Singular im Präsens konjugieren.
Huawei P10 Test – Kamera
Nachdem ich mich nun lange über die Microsoft-Apps ausgelassen habe, von denen ich ehrlich gesagt mehr erwartet hätte, kommen ich etwas mehr auf die Hardware zurück. Von den beiden Kameras des Huawei P10 Plus war ich sehr angetan, allerdings hat sie auch ihre kleinen Tücken.
Zuerst das Positive: Die Kamera macht großartige Bilder in allen Situationen. Die Bildstabilisierung ist phänomenal, sodass bei Nacht unrealistisch helle Bilder entstehen, meistens sogar heller als das menschliche Auge sehen kann. Es sind wahrlich atemberaubende Bilder, welche die Kamera aufzunehmen imstande ist. Zudem ist sie schnell, stürzt nicht ab und ist nach kurzer Eingewöhnungsphase leicht zu bedienen. Die Schärfe ist bei der Standardeinstellung von 12 Megapixeln etwas gering, aber es lässt sich auch die Option aktivieren, Bilder mit 20 Megapixeln aufzunehmen. Dann wird die Schärfe zwar besser, aber aus irgendeinem Grund verbietet die Kamera-Software einem dann, zu zoomen.
Ein Problem der Huawei-Kamera ist allerdings, dass die Bilder sehr stark nachbearbeitet werden, weswegen es immer empfehlenswert ist, auch die RAW-Dateien zu behalten, vor allem, wenn die Fotos später bearbeitet werden sollen. Die Fotos werden stets nachgeschärft, der Weißabgleich ist immer etwas wärmer und die Sättigung wird hochgeschraubt. Was bei Landschaftsaufnahmen, beispielsweise vom Meer, großartig aussieht, kann vor allem bei roten Blumen oder dichtem Gras nach hinten losgehen. Insgesamt ist es allerdings kein Problem und die Bilder, welche das Team aus zwei LEICA-Linsen produziert, sind echt sehenswert.
Näheres zur Kamera auf der Rückseite wird es in einem eigenen Vergleich geben.Die Frontkamera macht ebenfalls sehr gute Bilder, ist allerdings vom Dynamikbereich etwas schwach, sodass man bei Selfies in der Sonne meist nur die Personen und weniger vom Hintergrund sieht.
Galerie
- hdr
- Mit freiem Auge war weniger erkennbar
Akkulaufzeit
Anstatt das Design des iPhone 7 komplett zu kopieren, hat Huawei einen Designfehler von Apple korrigiert und zwar wurde auf die Auswölbung für die Kamera verzichtet. Dadurch kann das übrige Gehäuse etwas dicker sein und entsprechend passt auch ein größerer Akku rein. Das 5,5-Zoll große Smartphone hat einen 3750 mAh großen Akku verbaut und der hält auch bei sehr intensiver Nutzung problemlos einen ganzen Tag durch. Bei durchschnittlicher Verwendung kommt man auch zwei Tage damit durch, sofern man allerdings die Hintergrundaktivität für die Facebook-App deaktiviert hat.
Performance
Was den eigenen Kirin 960-Prozessor betrifft, war ich anfangs etwas skeptisch. Windows Phone-Nutzer sind, was Prozessoren betrifft, durch die Partnerschaft zwischen Microsoft und Qualcomm doch etwas verwöhnt, immerhin gelten die Chips als effizienter sowie leistungsfähiger als die MediaTek-, Exynos- und Kirin-Konkurrenz. Im Alltag merkt man davon nicht allzu viel, denn das Smartphone läuft sehr flott und hängt praktisch nie. Hätte ich hier etwas anderes zu erzählen, wäre es bei dem Chip auch ziemlich verwunderlich. Die Anwendungen laden schnell, Multitasking ist auch dank 6 Gigabyte RAM gar kein Problem.
Einzig die Unterstützung durch Custom ROMs ist durch die Qualcomm-Prozessoren besser gegeben und während das für den durchschnittlichen Android-Nutzer eher kein Thema ist, sehe ich vor allem darin den Mehrwert der Android-Plattform. Obwohl Android viele Apps zur Personalisierung bietet, kann nichts das iOS-Design der System-Apps verändern und die Google-Apps lassen sich auch nicht komplett deinstallieren. Eine Custom ROM schafft da Abhilfe, aber durch den eigenen Chip wird diese Freiheit etwas beschränkt.
Fazit
Es ist ganz offensichtlich, dass dieser Artikel nicht das übliche Huawei P10 Plus Review ist, das womöglich auf vielen anderen Seiten zu finden ist. Es geht hier ein wenig mehr darum, das Smartphone aus Sicht eines bisherigen Windows 10 Mobile-Nutzers zu bewerten, der womöglich einen Wechsel zu genau diesem Gerät plant und andererseits auch das Microsoft-Ökosystem unter Android zu testen, in dem ich mich einfach heimisch fühle.
Von der Hardware wird man beim Huawei P10 Plus wirklich verwöhnt, was man vom gesamten Windows Mobile-Ökosystem eigentlich gar nicht behaupten kann. Bei der Software könnte Microsoft auch eine ganze Menge von Google Huawei lernen, allen voran die Stabilität und die Geschwindigkeit der Kamera ist beeindruckend. Man muss auch zugeben, dass Android im Alltag mittlerweile das schnellere System ist, allein, weil schon der Start der Facebook-App unter Windows 10 Mobile selbst auf Flaggschiff-Hardware mehr als 10 Sekunden in Anspruch nimmt.
Wer bislang ein überzeugter Windows 10 Mobile-Nutzer war und nun wechseln will, dessen Entscheidung ist verständlich. Huawei versucht beim P10 Plus ein komplettes Smartphone-Benutzererlebnis zu schaffen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es erfüllt alle Anforderungen an ein modernes Smartphone, von einer atemberaubenden Kamera, über ein helles Display, gute Performance, lange Akkulaufzeit bis hin zu einem hochwertigen Design, aber perfekt ist es deswegen nicht.
Die Definition von einem kompletten Smartphone ist für Huawei offenbar das iPhone 7 und darin besteht der Fehler. Man scheint vergessen zu haben, dass es durch ein kopiertes Design und Interface trotzdem kein iPhone wird und vor allem, dass es nicht das ist, was jene Menschen wollen, die genauso viel für ein Smartphone ausgeben, das eben nicht das iPhone ist.