Seit einiger Zeit kann Microsoft jene Versprechen nicht halten, welche man nur Monate zuvor noch gegeben hatte. Es fing an mit Windows 10 Mobile, das für alle Geräte geplant war, setzte sich beim People-Feature fort und wiederholt sich nun bei der Timeline, welche ursprünglich für das Windows 10 Fall Creators Update vorgesehen war.
„Overpromise, underdeliver.“
Im Zuge der Build 2017-Konferenz wurde die Funktion angekündigt und vor wenigen Tagen erst verschoben auf das übernächste Update. Joe Belfiore kündigte das vor vier Tagen auf Twitter an und rechtfertigte die Verschiebung damit, dass man die Funktionen so angekündigt hat, dass diese ab dem Windows 10 Fall Creators Update kommen wird. Er behauptet, in den Ankündigungen habe man glasklar kommuniziert, die Features könnten also auch später kommen und die Fans und Medien hätten Microsoft missverstanden.
Naja, nein, falsch. Im Zuge der Build-Keynote sagte Joe Belfiore genau bei Minute 48:44, dass die Timeline im Windows 10 Fall Creators Update enthalten sein wird. Microsoft verkauft damit die Nutzer, Fans und Medien für dumm anstatt sich einfach dafür zu entschuldigen, dass man die eigenen Pläne nicht einhalten kann. Ist ja nicht weiter schlimm.
Microsoft Deutschland bewirbt die Funktion
Am 3. Juli kam die Ankündigung vom Microsoft-Manager per Twitter und die meisten größeren Windows-Medien, darunter natürlich WindowsArea.de haben sofort darüber berichtet. Am 6. Juli hat die offizielle Windows-Seite auf Facebook das Timeline-Feature beworben und auch damit, dass es mit dem Windows 10 Fall Creators Update kommt. Das Posting selbst wurde zwar bearbeitet, der verlinkte Blogpost von Microsofts News Center allerdings nicht. Dort steht weiterhin, das Windows 10 Fall Creators Update werde die Timeline enthalten.
Es sind Dinge, die bei Nutzern für Verwirrung sorgen und als offizielle Medien von Microsoft sollten diese möglichst akkurat sein. Dass Microsofts Social Media-Seiten häufig kompletten Schwachsinn verbreiten und damit für falsche Hoffnungen bei den Nutzern sorgen, ist keine neue Erscheinung. Microsoft hatte zuvor bereits Snapchat für Windows Phone versprochen und auch Pokémon GO und über Twitter das Windows 10 Mobile-Update für alle Geräte angekündigt.
Marketing übernimmt Führungspositionen
Das Problem ist allerdings weitaus größer und nicht beschränkt auf Microsoft, das zu viel verspricht oder, dass die Facebook-Seite von Windows ein vor drei Tage zuvor verschobenes Feature extra nochmals bewirbt, was natürlich bei den Nutzern für Verwirrung und bei Fans für Ärger sorgt. Das sind Fettnäpfchen, vor denen kein Konzern wirklich gescheut ist.
Sie häufen sich allerdings und das aus einem einfachen Grund: Microsoft besetzt Führungspositionen in vielen Ländern nicht mit Experten oder leidenschaftlichen Mitarbeitern, sondern mit reinen Marketiers.
Die Microsoft-Zentrale in Redmond übernimmt in den letzten Jahren immer mehr das Steuer, auch im Ausland. Die einzelnen Länderzentralen haben immer weniger Mitbestimmung. Microsoft hat das Skype-Entwicklungsteam in London komplett aufgelöst und leitet die Operationen nun aus Redmond. Langgediente Nokia-Mitarbeiter wurden praktisch ohne Evaluierung ihrer Fähigkeiten entlassen und viele von ihnen, darunter Apples neuer Kamera-Chef Ari Partinen, wären außerordentlich fähige Microsoft-Mitarbeiter gewesen. War zu Windows Phone-Zeiten der Verkauf mehr in der Hand der einzelnen Länder, wird Surface heute praktisch nur noch von Microsoft aus Redmond gesteuert. Erfolgreich, weil das Produkt gut ist, aber das war nicht immer so.
„Erfolgsbeispiel“ Windows Phone
Und ja, Windows Phone ist ein Erfolgsbeispiel von lokalem Marketing. Microsoft kam im eigenen Heimatmarkt mit dem mobilen Betriebssystem nie wirklich über die 1-Prozent-Marke. Windows Phone schaffte im Juni 2015 sogar 10,5 Prozent Verkaufsanteil in Deutschland. In Italien, Großbritannien und Polen war der Marktanteil noch höher. Im Gegensatz zu heute hatten die lokalen Teams wesentlich mehr Verantwortung und die Führungspositionen waren von Ingenieuren, Entwicklern und leidenschaftlichen Mitarbeitern besetzt und ich wage zu wetten, dass sie die Spezifikationen der damals verkauften Lumia-Modelle auch im Schlaf konnten. Es waren Mitarbeiter, die wirklich vom Produkt überzeugt waren und mit dieser Überzeugung vor die Journalisten traten und zu den Unternehmen gingen, die man als Kunde gewinnen wollte.
Es lässt sich beobachten, dass mit jeder Umstrukturierung bei Microsoft genau solche Mitarbeiter gehen müssen und langsam durch Menschen ersetzt werden, die zwar hervorragende Marketiers sind, allerdings von Surface, Windows und Microsoft nicht wirklich viel Ahnung haben. Dafür gibt es Belege, allerdings will ich hier niemandem persönlich schaden und Namen nennen. Es beginnt dort, dass viele Mitarbeiter technische Daten nur auswendig lernen, allerdings manche Daten für unwichtig erachten, weil sie nicht verstehen, was sie bedeuten.
Zum Beispiel: Nur, weil Intel Core i7 auf beiden Datenblättern draufsteht, ist er am Surface Studio nicht derselbe wie im Surface Book. Einem Innenpolitikjournalisten, der für seinen Kollegen vom Technik-Ressort einspringt, muss man das auch erklären, denn sonst steht es möglicherweise in der auflagenstärksten Zeitung falsch drin. Ob das Surface Book eine beinahe 100 prozentige Abdeckung des sRGB-Farbraums besitzt, ist für die Zielgruppe ein wichtiges Detail, konnte allerdings auf Nachfrage eines Journalisten durch die anwesenden Mitarbeiter nicht beantwortet werden. Mein Lieblingszitat ist allerdings:“Surface Studio ist ein stinknormaler All-in-One.“ Natürlich weiß jeder, was gemeint ist, aber ein 3000 Euro-Premium-Produkt stellt man so trotzdem nicht vor. Während der Surface Pro (2017)-Präsentation haben wir zudem das Lenovo Miix 510 an die Stelle am Präsentationstisch hingestellt, wo Microsofts Tablet hätte stehen sollen. Keiner der Microsoft-Mitarbeiter hat es bemerkt, sondern nur ein kompetenter Herr von der Presseagentur.
Diese Begeisterung, welche Panos Panay während seiner Pressekonferenzen an sein Publikum überträgt, die existiert bei lokalen Pressekonferenzen schon lange nicht mehr. Gefühlsmäßig haben sie meines Erachtens dann aufgehört, als Microsoft die letzte Umstrukturierung durchgeführt hat und als wir bereits warnten, dass Microsoft mit den Entlassungen über die Stränge schlägt.
Wir schrieben damals als es um die Entlassung von tausenden Nokia-Mitarbeitern ging:
In Europa ist Microsoft mit High-End Smartphones stark, zumindest 10 Mal stärker als man das mit eigenen High-End Geräten in den USA ist. Genau diese Leute in den USA sollen aber in Zukunft für die Operationen in Europa verantwortlich sein. Und das statt jenen, die jahrelang in diesem Markt arbeiten, teils trotz Gegenwind aus Redmond, beispielsweise durch die Bevorzugung von US-Kunden, beträchtliche Erfolge in Europa erzielen konnten. Microsoft sieht den europäischen Markt als Goldgrube und schreibt die höhere Verbreitung der Geräte sich selbst zu und nicht den Leuten, die in Europa arbeiten. Das ist ein Denkfehler.
Microsofts größtes Problem
Dass Microsoft diese Ingenieure und Entwickler, welche bislang viel Verantwortung hatten, aus den Führungspositionen hebt und stattdessen Marketing-Menschen beschäftigt, ist ein solcher Schritt zur zentraleren Organisation des Unternehmens. Reine Marketiers haben nicht die Aufgabe, eigene Strategien basierend auf ihre Kenntnis der Spezifikationen und der Bedürfnisse ihres Heimatmarktes zu entwickeln, sondern nur die Microsoft-Broschüren nachzuplappern. Der Erfolg von Windows Phone in Europa basierte allerdings darauf, dass die Mitarbeiter in Deutschland, Italien, Finnland und Großbritannien ihre Kunden kannten und wussten, wie sie das Produkt vermarkten können.
Im Cloud-Geschäft ist das sogar noch viel wichtiger und da gab es erst gestern eine Umstrukturierung.