Windows 10 ARM ist vor etwas mehr als einem Jahr offiziell angekündigt worden. Die ersten Geräte sind erst in der zweiten Jahreshälfte 2018 wirklich auf dem Markt präsent gewesen. Das Lenovo Miix 630, das im Januar angekündigt wurde, kam erst im August nach Deutschland. Ende August wurde dann schon die nächste Generation präsentiert.
> Lenovo Miix 630 im Preisvergleich
Seit es das Lenovo Miix 630 in Deutschland gibt verwende ich das Windows 10 ARM-Tablet täglich. Ich habe beim Unboxing-Video das Versprechen gemacht, es zumindest einige Wochen lang zu testen. Während dieser Zeit sollte das Lenovo Miix 630 zum einzigen Windows 10-Gerät werden, das ich unterwegs nutzte. Unterbrochen hatte ich die Testphase lediglich für das Microsoft Surface Go, welches ich dazwischen etwa zwei Wochen vor Marktstart in Deutschland nutzte. Ich habe Windows 10 ARM daher bereits einige Monate verwenden können, lernte die Stärken und Schwächen des Systems kennen und möchte nun in dieser Serie meine Erfahrungen möglichst ausführlich und präzise mit interessierten Lesern oder potenziellen Käufern teilen.
Im ersten Teil dieser Serie soll es nur um Windows 10 ARM gehen und das damit verbundene Benutzererlebnis. Was läuft wie gut und welche Einschränkungen ergeben sich dadurch im Alltag? Aufgrund der umfassenden Natur dieses Erfahrungsberichts werden die Themen Hardware des Lenovo Miix 630 und die Akkulaufzeit mit Windows 10 ARM in eigenen Artikeln behandelt.
Randnotiz: Lenovo war der einzige Hersteller, der sich bereit erklärt hat, uns ein Windows 10 ARM Gerät zum ausführlichen Testen bereitzustellen. Andere Hersteller hatten auf unsere Anfragen zu Windows 10 ARM-Geräten entweder gar nicht oder nur ausweichend reagiert. Die Hersteller wissen, dass die Geräte in Testberichten nicht wirklich gut abschneiden und vermeiden daher, diese allzu aggressiv zu vermarkten. Windows 10 ARM versteckt zu halten, ist aber meiner Meinung nach nicht der richtige Weg. Lenovo hat sich sofort bereit erklärt, uns ein Gerät für diesen dauerhaften und sehr ausführlichen Test bereitzustellen und dafür keine Mühen gescheut. Frei nach einem bekannten kalifornischen Hersteller: Mutig.
Anpassung des Nutzerverhaltens an Windows 10 ARM
Das Lenovo Miix 630 erhielt ich mit installiertem April 2018 Update, sprich Version 1803. Bis zum damaligen Zeitpunkt hatte ich auf meinen Geräten mehrheitlich den Google Chrome-Browser im Einsatz. Nach jedem Windows 10 Feature-Update bekam Edge eine neue, ehrliche Chance. Dann nutze ich den Microsoft Browser so lange bis ich nicht einem größeren Ärgernis begegne, das mich dann zur Installation von Chrome bringt. Im Regelfall hielt ich es nicht länger als drei Wochen mit Edge durch.
Von „Microsoft Edge ist eine Krücke“ zu meinem Alltagsbrowser
Nach dem selben Prinzip wie bei Edge wollte ich der gesamten Plattform Windows 10 S eine Chance geben bevor ich das dauerhaft kostenlose Upgrade auf Windows 10 Pro machte. Ich musste mich demnach mit Microsoft Edge abfinden, den ich – nochmal – bis dato nicht gerne verwendet hatte. Und zu Beginn, muss ich gestehen, war es sehr fordernd. Ich kannte Microsoft Edge und auch dessen Fehler. Mit dem Microsoft-Browser hatte ich unzählige Probleme gehabt und es wunderte mich daher gar nicht, dass dieselben Fehler auch auf meinem neuen mobilen Begleiter auftraten. Bei der Eingabe von längeren Texten in WordPress, YouTube oder Facebook gab es extreme Hänger, was das Schreiben längerer Texte oder Kommentare im Internet zu einem sehr frustrierenden Erlebnis machte. Regelmäßig musste ich Artikel für WindowsArea.de oder längere Antworten auf unserem YouTube-Kanal in Word vorschreiben, um sie dann in den Browser zu kopieren. Daneben synchronisierte Edge meine Passwörter nicht und die Stabilität war zweifellos nicht auf einem Niveau von Chrome.
Das führte dazu, dass ich schon 24 Stunden später in meinem Video mit den ersten Eindrücken den Microsoft Edge-Browser konsequenterweise als „Krücke“ der Windows 10 ARM-Plattform bezeichnete. Die Bezeichnung war auch absolut treffend. Microsoft Edge ist eine der wichtigsten Apps für Windows 10 ARM und Microsoft hat ihn eiskalt nicht gut umgesetzt.
Oder besser gesagt: hatte. Das Windows 10 Oktober 2018 Update wurde beim Lenovo Miix 630 direkt am Tag des ersten Release am 2. Oktober installiert. Das Update lief problemlos durch und bereitete mir in weiterer Folge eine sehr große Freude. Sämtliche meiner Kritikpunkte an Microsoft Edge waren ausgeräumt. Das Feedback zu den genannten Problemen in Bezug auf die langsame Performance beim Tippen im Browser hatte ich Microsoft als Windows Insider schon vor Release von Windows 10 regelmäßig übermittelt als Edge noch Project Spartan hieß. Es gab hierzu unzählige Beschwerden in Support-Foren und nach etwas mehr als drei Jahren hat Microsoft diesen Fehler beseitigen können. Für mich war es mit Abstand das größte Problem von Microsoft Edge. Die hängenden Texte führten zu Abstürzen, Instabilität oder nicht reagierenden Webseiten. Und wenn man einmal eine 200 Wörter-Antwort voller Herzblut auf YouTube verfasst hat und die Seite plötzlich nicht mehr reagiert, dann war das in der Vergangenheit ein Moment für die Installation von Chrome.
Seit dem Windows 10 Oktober 2018 Update existiert dieses Problem nicht mehr. Das Tippen im Browser von Texten mit mehreren hundert Wörtern gelingt ganz ohne Schwierigkeiten. Dieser Text wird gerade im Edge-Browser auf dem Lenovo Miix 630 getippt. Das war mit Version 1803 nicht möglich. Seitdem ist der Microsoft Edge-Browser auf all meinen Geräten der einzige Browser, den ich verwende. Chrome hat tatsächlich bei mir ausgedient. Das liegt tatsächlich nicht an meiner Geduld oder Akzeptanz für Microsoft Edge. Ich finde ehrlich, dass Microsoft Edge mittlerweile ein wirklich guter Browser ist, der meinen professionellen und privaten Ansprüchen absolut genügt.
Emulation: Die Performance von Desktop-Programmen
Selbstverständlich war die Browser-Geschichte nicht derart geradlinig, wie das in den wenigen Worten hier beschrieben werden kann. Mehr als einen Monat lang musste ich es schließlich mit Windows 10 Version 1803 aushalten und regelmäßig Artikel, Kommentare und Forum-Posts in Word vorschreiben, um sie anschließend in den Browser zu kopieren. Ich suchte daher natürlich nach Alternativen.
Das Upgrade von Windows 10 S auf Windows 10 Pro folgte binnen zwei Wochen und ich navigierte anschließend direkt zur offiziellen Webseite von Google Chrome. Ich war mir dessen bewusst, dass das Program emuliert wurde und die Performance daher nicht ideal sein würde. Aber konnte er wirklich unzuverlässiger, instabiler und langsamer sein als Edge? Nun ja. Er konnte.
Er war vor allen Dingen langsamer. Das machte sich besonders beim Laden von Webseiten oder Ändern der Fenstergröße bemerkbar. Beim Scrollen kam Chrome bei der Darstellung des Inhalts schon bei WindowsArea.de kaum nach und bei größeren Seiten war es einfach nur frustrierend. Man kann ihn verwenden, er läuft unter Windows 10 ARM, aber man möchte ihn einfach nicht nutzen. Erfreulicherweise hat Edge nun eine mindestes akzeptable Qualität erreicht.
Spotify, iTunes, WinRAR und WhatsApp Desktop
Im Grunde gilt Ähnliches für jedes Desktop-Programm unter Windows 10 ARM. Sie sind in der Regel lauffähig, können benutzt werden, aber man merkt ihnen den emulierten Charakter an. Je nach Komplexität des Programms läuft die Anwendung aber merkbar langsamer.
Die übrigen Alltagsprogramme wie Spotify oder WhatsApp Desktop würde ich dennoch als benutzbar bezeichnen. Spotify habe ich tatsächlich jeden Tag verwendet, um die Musik am Harman Kardon Invoke steuern zu können. Die Startzeit des Desktop-Programms ist vergleichsweise lang und beim Ändern der Fenstergröße braucht die Anwendung eine Sekunde „Nachdenkzeit“ bis sich der Inhalt anpasst. Danach läuft das Programm aber sehr flüssig. Das Scrollen in größeren Playlisten geht schnell, die Wiedergabesteuerung und das Suchen von Songs ebenfalls problemlos. WhatsApp Desktop ist im Grunde ein Chrome-Fenster, wo nur eine einzige Seite geöffnet ist. Die Performance ist nicht großartig, aber das Programm ist zweifellos benutzbar.
Was ist mit Photoshop, Lightroom, Premiere Pro oder GIMP?
Selbstverständlich konnte ich der Neugier nicht widerstehen. Wer könnte das schon als „Windows 10 ARM-Pionier“?
Zuerst muss man sich allerdings ehrlicherweise eine Frage stellen: Brauchst du wirklich Photoshop auf einem Tablet? Ich selbst benutze Photoshop regelmäßig in meinem Arbeitsalltag, aber auf Tablets installiere ich das Programm im Regelfall nicht. Egal, ob Surface Go, Samsung Galaxy Book oder ein anderes kleineres bzw. weniger leistungsfähiges Tablet: Ich verwende diese Geräte eher als mobile „Netbooks“ zum Schreiben, zum Bearbeiten von Office-Dokumenten und für das Surfen im Internet. Es gibt unglaublich viele Nutzer, deren Computing-Alltag lediglich aus diesen Aufgaben besteht. Da reicht Windows 10 ARM auch völlig.
Photoshop CC 2018 läuft unter Windows 10 ARM, lässt sich starten und für eine beschränkte Zahl an Aufgaben nutzen. Der Akku-Verbrauch ist während der Nutzung allerdings auch deutlich höher und die Startzeit enorm lang. Im oben eingebetteten Video zeige ich euch im Detail, was ihr von Photoshop unter Windows 10 ARM erwarten könnt und was nicht.
Windows 10 ARM Videobearbeitung?
Naja. Natürlich hatten wir bereits Premiere Pro auf einem Notebook mit Celeron-Prozessor getestet und konnten sogar ein 1080p-Video damit fertigstellen. Kann man das allerdings schon als nutzbar bezeichnen? Keinesfalls. Schon der mobile Intel Quadcore hat enorme Probleme mit der Anwendung, die noch dazu nativ läuft. Abstürze, Instabilität und Furcht um Verlust des Arbeitsfortschritts begleiten einem zu jedem Zeitpunkt bei der Arbeit.
Premiere Pro, Sony Vegas oder andere Profi-Programme für Videobearbeitung kann und sollte man unter Windows 10 ARM einfach vergessen. Premiere Pro lässt ich installieren, aber nicht starten. Der Windows Movie Maker funktioniert grundsätzlich. Selbst Story Remix gibt es in Windows 10 ARM nicht. Microsoft selbst glaubt also nicht, dass Windows 10 ARM für Videobearbeitung geschaffen ist.
Wir widersprechen respektvoll mit einem Beispiel: Wirklich empfehlenswert ist die Anwendung Movie Edit Touch von der MAGIX Software GmbH, die das Zusammenschneiden von Videos mit einer Video und einer separaten Audio- und Titel-Spur erlaubt. Für manche Aufgaben sollte das ausreichend sein und auch der Export in FullHD ist mit der 3,99 Euro teuren Premium-Version möglich. Im Notfall könnte ich damit ein YouTube-Video schneiden. Wer also unterwegs das eine oder andere Video kurz zusammenschneiden muss, sollte das folgende Programm aus dem Store laden:
Windows 10 ARM Fazit: Unterschätzt!
Zusammenfassend muss ich sagen, dass das reine Software-Erlebnis mit Windows 10 ARM auf dem Lenovo Miix 630 mich sehr positiv überrascht hat. Edge machte einen Weg von „Zero to Hero“, die einfachen Desktop-Programme des täglichen Gebrauchs laufen ausreichend gut und für einfachere semi-professionelle Anwendungsfälle findet man im Store durchaus Alternativen.
Das Lenovo Miix 630 mit Windows 10 ARM bietet meiner Meinung nach eine stark unterschätzte Mischung aus iPad Pro und Surface Pro bzw. aus „PC-Tablet“ und iOS-Tablet. Im Alltag hat man ein iPad mit dem Browser und einigen Apps. Als Bonus gibt es ein für ARM kompiliertes, volles Office und nicht die Apps. Und dort, wo der Microsoft Store einfach nicht mit dem AppStore am iPad mithalten kann, gibt es die Emulation, die in manchen Situationen aushilft. Hinzu kommt das Fenster-Management von Windows 10, welches Produktivität einfach auf eine andere Stufe hebt als am iPad.
Ich sage nicht, dass es die perfekte Mischung dieser beiden Welten ist. Hierzu ist einerseits die Auswahl an hochqualitativen ARM-Apps im Store zu beschränkt, um nur ansatzweise den Vergleich mit dem iPad zu verdienen. Auf der anderen Seite hilft die Emulation auch nur bei kleineren Programmen wie Spotify oder iTunes und nicht wirklich bei Premiere Pro. Und eine Sache ist sicher: Der AppStore hat ganz sicher mehr hochqualitative, unterstützte Videoschnittprogramme als der Microsoft Store. Der hat nämlich genau eines. Die ideale Situation wäre, dass mehr Programme auch als ARM-Build gäbe und auf der anderen Seite der Windows Store beträchtlich wächst. Das ist allerdings zweifellos Wunschdenken.
Insgesamt wird Windows 10 ARM auf Software-Seite meiner Ansicht nach dennoch deutlich unterschätzt. Echtes Fenster-Multitasking, ein echter Dateimanager, native Unterstützung für praktisch jedes Peripheriegerät wie Drucker, Kameras und Smartphones kombiniert mit einem nutzbaren Edge-Browser ergeben unabhängig von der Akkulaufzeit und der Qualität des Lenovo Miix 630 schon eine solide Mischung. Ich denke, dass Windows 10 ARM für deutlich mehr Anwender interessant sein könnte als es aktuell ist. Die Furcht vor Windows 10 ARM ist absolut unbegründet.
Teil 2: Akkulaufzeit
Im nächsten Teil der Serie wird es um die Akkulaufzeit gehen mit dem Lenovo Miix 630 und Windows 10 ARM. Wie wirken sich „22 Stunden Laufzeit“ auf den Alltag aus? Wie viel davon ist tatsächlich erreichbar? Ist es gar lebensverändernd oder bemerkt man den Unterschied gar nicht?
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