Windows 10

Cortana ist tot: Was bedeutet die Kapitulation vor Amazon und Google?

Microsoft-Chef Satya Nadella hat gestern die weiße Flagge gehisst. Auf einer Konferenz mit mehreren anwesenden Journalisten sprach er überraschend offen über Microsoft 365 für Endkunden, Project xCloud, das Netflix für Games sowie auch Cortana.

In Bezug auf die digitale Assistentin verwendete der Microsoft CEO Worte, die mir sehr bekannt vorkamen. Wohlgemerkt handelt es sich hierbei um Worte, die Satya Nadella im Zusammenhang mit Cortana als Spachassistenz auf smarten Lautsprechern verwendet:

„Für mich lautet die Herausforderung: Was können wir exakt in dieser Kategorie machen, was einzigartig sein würde?“

Dieselben Worte des Versagens

Woran erinnern euch diese Worte? Ich weiß ganz genau, woran ich bei diesen Worten denke. Einerseits an ein Interview desselben vom Juni 2015, worin er davon sprach, nur einige wenige Geräte mit Windows 10 Mobile für Unternehmenskunden auf den Markt zu bringen, welche die Einzigartigkeit der Plattform vorzeigen sollen. Wie gut diese Strategie aufgegangen ist, wissen wir ja heute.

Noch klarer äußerte sich der Microsoft-Chef aber, als er gefragt wurde, ob er für oder gegen die Nokia-Übernahme gestimmt hatte. Er war dagegen, weil „ich habe nicht verstanden, warum die Welt ein drittes Smartphone-Ökosystem brauchte, außer wir änderten die Regeln.“ Anders gesagt: Windows Phone war nicht einzigartig genug, um sich länger mit Android und iOS zu messen. Oder nochmal anders: Der Rückstand auf die Konkurrenz war unaufholbar geworden. Also wurde es eingestampft.

Cortana: Vom Pionier zum Fehlschlag

Im Falle von Windows Phone muss man aber zweifellos sagen, dass es erst Nadellas inkonsequente Politik (Hamburger-Menüs, Project Astoria, etc.) an Android (und iOS) angeglichen hatten. Zugegeben, Microsoft lief dem Smartphone-Markt mit Windows Phone auch von Tag Eins an hinterher.

Cortana aber gehörte zu den ersten digitalen Assistenten überhaupt. Als Cortana 2015 in Windows 10 implementiert wurde, war Alexa gerade mal experimentell in den USA auf den Markt gekommen. Cortana gab es zu dem Zeitpunkt schon über ein Jahr, bereits in zahlreichen Sprachen und auf Millionen von Telefonen. Nicht vergessen: Windows Phone war damals in der EU zweistellig beim Marktanteil. Der Google Assistant sollte erst ein Jahr danach vorgestellt werden, natürlich ebenfalls mit den Schwächen einer vollständig neu gestalteten Plattform.

Cortana war im Jahr 2015 deutlich fortgeschrittener als Alexa, in wesentlich mehr Sprachen erhältlich und bot dank Windows 10 eine Plattform, an die man hätte anknüpfen können. Es fehlte nur noch Hardware und Marketing in Form eines Amazon Echo-Konkurrenten. Microsoft hätte heute, wie vor etwas mehr als 20 Jahren, wieder einen Computer in jedem Haushalt haben können dank Cortana.

Cortana wird zum Skill degradiert

Im Jahr 2019 ist dieser einstige Vorsprung zu einem enormen Rückstand geworden. Einem unaufholbaren Rückstand. Das sieht auch Satya Nadella ein, weshalb er ebendiese Worte nutzt:

„Wäre es besser, Cortana zum Beispiel zu einem wertvollen Skill zu machen für Alexa? Oder sollten wir versuchen, mit Alexa zu konkurrieren? Ganz ehrlich, wir entschieden uns für Ersteres.“

Was Nadella allerdings nicht zu sehen scheint, ist die Tatsache, dass diese Frage im Jahr 2019 zu stellen, fast schon ironisch klingt. Man stelle sich hierzu ein Board-Meeting bei Samsung vor, wo ein Mitarbeiter heute im ernsten Ton fragt: „Na, wie wär’s jetzt noch mit einem Windows Phone?“ Schallendes Gelächter.

Bei allem Respekt, diese Frage, Herr Nadella, hätten Sie im Sommer 2015 stellen müssen. Da hätte es keine zwei Antwortmöglichkeiten gegeben. Im Jahr 2019 parodiert sich diese Frage allerdings selbst. Jetzt gibt es aber keine anderen Optionen als folgende:

„Und man sollte Cortana auch auf dem Google Assistent nutzen können.“

Cortanas Zukunft

Cortana ist als eigenständige digitale Assistentin tot. Neue Produkte wird es, sofern am Markt nicht irgendein Wunder geschieht, mit der Assistentin wohl nicht mehr geben. Was wird also aus Cortana?

Wie bereits von Satya Nadella selbst angekündigt, sieht er für Cortana keine eigenständige Zukunft parallel zu Alexa und dem Google Assistant. Microsofts digitale Assistentin wird kurzfristig wohl als Interaktionsplattform für Alexa dienen, um auf die verschiedenen Microsoft-Dienste zugreifen zu können. Über Cortana sollen Alexa und wer sonst noch will, Zugang zu Office 365 bekommen.

Derweil könnte Cortana zu einer passiven Assistentin weiterentwickelt werden, die Informationen aus verschiedenen Microsoft-Apps und Diensten abgreifen und bereitstellen kann. Sozusagen als smarte, digitale Schnittstelle ins Microsoft Ökosystem. Durch Machine Learning-Features könnte Cortana proaktiv dabei helfen, die Produktivität zu steigern und Nutzern einige Aufgaben abzunehmen. Schon jetzt hat Cortana dank Mail-Scanning-Funktionalität einige Vorteile gegenüber Alexa und dem Google Assistant. Cortana weiß, wann euer Flieger geht und kann euch am PC, unter Android und iOS bereits daran erinnern, wann ihr losfahren solltet. Cortana weiß basierend auf die Emails, wann Pakete ankommen und trägt dies in den Kalender ein. Cortana kann im Geschäftsbereich auf Terminkollisionen hinweisen und automatisch mit allen Teilnehmern eines Meetings einen anderen passenden Termin ausmachen. Auf dieser Plattform könnte man aufbauen. Diese Plattform hat großes Potenzial!

Langfristig… Meine Meinung? Microsoft scheint dieses Potenzial des eigenen Produkts selbst nicht zu sehen. Anstatt darauf aufzubauen und Cortana konsequent in eine Schnittstelle umzuwandeln, die nicht nur für Microsoft-Apps, sondern für alle Anwendungen bereitsteht, wird man einfach gar nichts tun. So wie bisher. Die Idee, Cortana als Schnittstelle für Office 365 zu nutzen, wird sich ohne konsequente Arbeit daran nicht durchsetzen. Statt Cortana wird es irgendwann einfach einen Outlook- und Office 365-Skill für Alexa geben. Warum Umwege gehen, wenn Cortana keinen Mehrwert bietet? Wenn Microsoft konsequent so weitermacht wie bisher, hat Cortana überhaupt keine Zukunft und darf sich früher oder später in eine Liste eintragen lassen mit Windows RT und natürlich Windows Phone.

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"Entdeckung besteht darin, den gleichen Gegenstand wie alle anderen zu betrachten, sich aber etwas anderes dabei zu denken."
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