„Viele Mitarbeiter möchten ihre Arbeit selbstbestimmt und möglichst unabhängig von Ort und Arbeitszeit erledigen.“, schreibt der deutsche IT-Dienstleister Bechtle auf seiner Homepage. Darin wirbt man für die eigenen Produkte und Lösungen, welche Kollaboration und Produktivität nicht nur vom Büro aus, sondern auch von Zuhause oder unterwegs ermöglichen sollen. Den Trend zum mobilen Arbeiten hat der deutsche IT-Konzern richtig erkannt: Die Pandemie hat den hybriden Arbeitsalltag zur Norm gemacht und, wie auch bei einem Großteil der IT-Firmen, galt das bislang auch für Bechtle.
In einer internen Email hat Microsoft-Partner Bechtle seine Mitarbeiter nun dazu aufgefordert, ins Büro zurückzukehren. „Homeoffice-Tage“ soll wieder die Ausnahme werden und „kann nicht die Regel sein“, schreibt der IT-Dienstleister in seiner Email an Mitarbeiter. Zudem wird es Homeoffice künftig „nur aus guten Gründen“ und nur nach „direktem Dialog mit Ihrer Führungskraft“ geben.
Bechtle verkauft seinen Kunden, was es seinen Mitarbeitern verweigert
Drei Jahre nach der Pandemie ist der Traum vom flexiblen, hybriden Arbeiten beim deutschen IT-Unternehmen offenbar Geschichte: Ab Mai müssen die Mitarbeiter mindestens drei Tage die Woche im Büro oder vor Ort beim Kunden arbeiten. Konnten die Mitarbeiter bislang um 8:30 noch gemütlich eine Tasse Kaffee beim Frühstücksfernsehen schlürfen, so beginnt für sie ab Mai spätestens um diese Zeit die Bus-, Bahn- oder Autoreise zum Arbeitgeber.
Bislang konnten sich die Mitarbeiter des selbsternannten „IT-Zukunftspartners“ mit den gebotenen Lösungen des Unternehmens arrangieren, die Bechtle nicht nur ihnen, sondern auch seinen Kunden gerne bereitstellt: Dazu schreibt Bechtle auf seiner eigenen Seite über den Modern Workplace: „Im Zuge der Digitalisierung haben die Mitarbeiter andere Ansprüche an ihre Arbeitsweise entwickelt: Arbeiten von zu Hause, ein gesteigerter Wunsch nach Work-Life-Balance und der Einsatz moderner Technologien sind für sie genauso wichtig wie agile und flexible Arbeitsmöglichkeiten.“ Selbst scheint man nicht zu dieser Kategorie an „Modern Workplaces“ zu gehören oder gehören zu wollen. Während Bechtle seine Kunden auf ihrem Weg hin zum digitalen Arbeitsplatz unterstützt, „um ein individuelles und passgenaues Modern-Workplace-Konzept zu erarbeiten“, so gilt dieses Prinzip nicht für Bechtle und deren Mitarbeiter.
Genau diese „One size fits all“-Regelung kann es bei Bechtle nicht geben, heißt es beinahe wörtlich in der Email des Konzerns. Deshalb sind „die Geschäftsführenden in allen Gesellschaften und die Direct Reports in der AG aufgefordert, für ihre Teams nachvollziehbare und überzeugende Konzepte zu erarbeiten, um wieder miteinander in den Büros zusammenzukommen oder beim Kunden vor Ort zu sein.“ Das ist quasi das Gegenteil von dem, was man seinen Kunden bietet. Warum konnte man das individuelle und passgenaue Modern-Workplace-Konzept nicht für sich selbst ausarbeiten?
Kriege, Kreativität und die Auszubildenden
Grund dafür, dass man seine eigenen Mitarbeiter, die bislang stets für mobile Arbeitslösungen bei ihren Kunden geworben hatten, wieder im eigenen Büro braucht, sind laut Bechtle die rund 900 Auszubildenden und dual Studierenden im Unternehmen, die am meisten davon profitieren würden, wenn sie mit ihren Kolleginnen zusammenarbeiten und von ihnen lernen können. Man brauche jetzt „Teamspirit, Kreativität und lebendigen Austausch“, um sich nachhaltig um Nachwuchskräfte kümmern zu können. „Kriege, eine Rezession in Deutschland, geringes Wirtschaftswachstum in Europa“ scheinen ebenfalls wichtige Faktoren gewesen zu sein für diese Entscheidung, werden sie doch im ersten Satz der Email zitiert.
Ebenfalls ein Grund dafür ist, dass 2024 eines der „herausforderndsten Jahre“ der jüngeren Unternehmensgeschichte für Bechtle werde. Zur Erinnerung: 2023 verbuchte die IT-Firma einen Umsatz von 6,4 Milliarden Euro und erhöhte seinen Vorsteuergewinn im Vergleich zum Vorjahr um 6,7 Prozent auf 374 Millionen Euro.
Bildquelle: Screenshots von Bechtle Homepage über mobiles, hybrides Arbeiten