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Warum Windows 8 für den Einbruch der PC-Verkäufe (nicht) verantwortlich ist

Die nunmehr zurückliegende Woche war gekennzeichnet von pessimistischen Berichten im Zusammenhang mit Microsoft und seinem neuesten Betriebssystem Windows 8. Das Internet wurde mit Überschriften wie „Windows 8 ist gescheitert – Der PC-Markt bricht ein“ (vgl. Fokus und n-tv) geradezu überflutet. Es lebe die Untergangsstimmung…

Die sinkende Nachfrage nach dem (klassischen) PC wird gewiss nicht erst seit letzter Woche diskutiert, dieses Phänomen beobachtet selbst der Otto-Normal-Verbraucher zunehmend. Was macht dieses Thema also so aktuell? Gemäß den Daten des angesehenen Marktforschungsunternehmens IDC lieferten die Hersteller im ersten Quartal 2013 insgesamt 76,3 Millionen PCs aus. Dies ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (88,6 Millionen Geräte) ein Rückgang von 13,9%, nahezu das Doppelte des erwarteten Rückgangs in Höhe von 7,7%. Der Einbruch ist somit höher als erwartet, doch es kommt noch schlimmer: Er ist der höchste seit Beginn der Datenerhebungen im Jahr 1995. Nun gilt es den Schuldigen ausfindig zu machen und dieser ist scheinbar schnell gefunden:

An dieser Stelle, leider, scheint es klar, dass die Veröffentlichung von Windows 8 nicht nur dahingehend gescheitert ist, den PC-Markt anzukurbeln, es scheint sogar, dass [Windows 8] den Markt abgebremst hat.

Zu den Gründen äußert sich IDC wie folgt: Zum einen seien „die drastischen Änderungen in der Benutzeroberfläche“ von Windows 8 und die mit der Nutzung von berührungsempfindlichen Bildschirmen einhergehenden höheren Kosten für viele Nutzer Grund genug, Abstand von neuen PCs zu halten. Zum anderen wird auf die fehlende Start-Taste abgestellt. Richtig gelesen, eine Taste, deren Abwesenheit dank eines funktionellen Ausgleichs – in Form des neuen Startmenüs – kaum auffällt, die sich mittels Drittanbieter-Software freischalten lässt, ist eine der Ursachen für den unerwartet starken Rückgang der Absatzzahlen im PC-Markt, so Bob D’Onell von IDC. Über diese beiden Gründe lässt sich gewiss streiten, auch wenn sie bei realistischer Betrachtung wohl kaum signifikante Auswirkungen auf den PC-Absatz haben. Der Grund liegt auf der Hand, die neue, ungewohnte Oberfläche ist vermeidbar. Es besteht sogar die Möglichkeit, sicherzustellen, dass als erster Bildschirm nicht das neue Start-Menü, sondern der Desktop erscheint. Dies ist über die Systemsteuerung oder aber mithilfe von Drittanbieter-Software mit wenigen Klicks erledigt. Man muss IDC allerdings zugutehalten, dass sie HP und Dell eine Mitschuld geben, ihre groß angelegten Umstrukturierungsmaßnahmen hätten die Nachfrage seitens der Kunden weiter geschmälert.

Definiere den „PC“

Interessanter sind weitergehende Überlegungen, die wahrscheinlichere Ursachen als die oben genannten behandeln. Zunächst sei die Frage erlaubt, was unter einem PC zu verstehen ist. Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert einen PC als „persönlichen Arbeitsplatzrechner (Einzelplatzsystem)“. Dabei leite sich der Begriff aus der historischen Entwicklung ab, Computer vom Rechenzentrum unabhängig zu machen und alle persönlichen Dokumente in direkter Interaktion zu bearbeiten. Diese Definition zählt im Übrigen zur ganz herrschenden Meinung. Spätestens hier wird deutlich, dass es den einen PC gar nicht (mehr) gibt, da neben  Desktop-Systemen auch Notebooks, Convertibles, Tablets mit Tastatur-Docks etc. als Einzelplatzsysteme angesehen werden können.

Der Grund, für diese Fragestellung liegt in IDCs Definition des PCs, die gemessen am weiten Verständnis  relativ eng ausfällt:

Ursprüngliche Fassung: PCs include Desktops, Portables, Mini Notebooks, and Workstations and do not include handhelds, x86 Servers and Tablets (i.e. iPad and Android-based Tablets with detachable keyboards). Data for all vendors are reported for calendar periods.

Aktuelle Fassung: PCs include Desktops, Portables, Mini Notebooks, and Workstations and do not include handhelds, x86 Servers and Tablets (i.e. slate form factor devices regardless of OS or chip type, such as iPad, Android, or Windows-based Tablets)

Diese Definitionen weichen aus uns unerklärlichen Gründen in ihrem Wortlaut leicht voneinander ab, sagen indes das gleiche aus. Unter den Begriff des PCs fasst IDC Desktop-Systeme, Notebooks und Workstations. Das heißt, x86 Server und Tablets fallen nicht hierunter. Unter Tablets versteht IDC, dies wird besonders in der ersten Definition deutlich, auch Tablets im Slate-Formfaktor bzw. solche mit abnehmbaren Tastaturen, so dass das Microsoft Surface Pro, Asus VivoTab, Samsung Ativ Smart PC, Acer W510 usw. nicht in den Zahlen enthalten sind, obwohl sie größtenteils mit Notebooks und Desktop-Systemen mithalten können. Hierbei wird nicht ausschließlich auf die Hardware Bezug genommen, es lässt sich mit diesen Geräten nicht zwingend schlechter arbeiten, nur weil die Tastatur abnehmbar ist.

Es muss aber auch bedacht werden, dass die Grenzen zwischen Konsum-Tablet und einem Arbeits-Tablet heutzutage fließend geworden sind, womit sich die strenge Abgrenzung zwischen Tablet auf der einen Seite und Desktops/Notebooks auf der anderen Seite erklären ließe. Gleichwohl trägt IDCs Auffassung des PCs dem Wandel innerhalb der Computerindustrie nicht Rechnung. Mit Windows 8 haben zahlreiche neue Formfaktoren ernsthaften Einzug in die Technikwelt gefunden, und damit sind nicht lediglich abnehmbare Tastaturen gemeint, denn auch Slider und Convertibles erfreuen sich neuer Beliebtheit. Es kann demnach festgehalten werden, dass IDCs aktuelle Definition vom PC einer Anpassung an die Moderne bedarf, dieser Punkt lässt sich kaum bestreiten.

Microsofts Upgrade-Angebot

Neben dem oben erwähnten Argument hinsichtlich der zu eng geratenen Ansicht sind zwei weitere Gesichtspunkte zu beachten:

  1. Microsoft hat sich bewusst dagegen entschieden, krampfhaft Anreize zum Kauf neuer PCs zu setzen. Dies lässt sich zum einen damit belegen, dass Windows 8 nahezu identische Systemanforderungen wie Windows 7 hat. Zum anderen nutzt Windows 8 die gegebenenfalls schwache Hardware ebenso effizient wie Windows 7 (vgl. Tomshardware), angesichts der kürzeren Systemstart Dauer teilweise sogar effizienter.
  2. Erneut: Microsoft hat alles getan, um den Wechsel von Windows 7 auf 8 möglichst kostengünstig zu halten. So war es beispielsweise bis zum 31. Januar dieses Jahres möglich, für 29,99€ von Windows XP/Vista/7 auf Windows 8 zu wechseln. Ganz ohne die Anschaffung eines neuen Rechners. Bei diesem Preis grübelt vermutlich auch der letzte Raubkopierer über den Kauf des Betriebssystems und das will was heißen.

Auch hier lohnt sich das Festhalten eines Zwischenergebnisses. Microsoft hat sich mit Wissen und Wollen dafür entschieden, den Wechsel auf Windows 8 nicht vom Kauf eines neuen PCs abhängig zu machen. Das dadurch gesparte Geld kann der Einzelne dann in andere, mobilere Windows 8 Hardware investieren – aber diese taucht bekanntlich in IDCs Daten nicht auf.

Technologischer Zyklus

Das letzte Argument dafür, dass nicht Windows 8 für den Rückgang des PC-Absatzes verantwortlich ist, werden die meisten unserer Leser persönlich nachvollziehen können. Der technologische Zyklus – insbesondere im (klassischen) PC Markt – ist in den vergangenen Jahren langfristiger geworden. Vor 13 Jahren war es fast undenkbar, einen PC länger als 2-3 Jahre in Gebrauch zu haben, die schnell alternde Technik machte sich sogar dem Laien bemerkbar. Heute verhält es sich aber gänzlich anders. Dieser Artikel wurde an einem über 3 Jahre alten Desktop-PC (Windows 8 Pro) verfasst, der wie gewohnt seine Dienste verrichtet. Es lassen sich nicht nur Full-HD Videos wiedergeben, mehrere Anwendungen gleichzeitig ausführen und Bilder mit Photoshop und den Pendants bearbeiten. Auch aktuelle Spiele lassen sich mit kleinen Kompromissen spielen. Zudem ist der oben zu sehende Windows 8 Leistungsindex nicht zu verachten, denn abgesehen von der HDD-Festplatte bewegen sich alle Werte auf einem – am Alter des Rechners gemessen – hohen Niveau. Dies gilt wohlgemerkt nur für den gewöhnlichen Anwender. Spieler und professionelle Nutzer wie Spiel-Entwickler, Grafik-Designer etc. werden ihre Hardware mit Sicherheit regelmäßiger austauschen.

Mit Blick auf die vorgebrachten Punkte erscheint die These, dass Windows 8 für den erheblichen Rückgang der Absatzzahlen auf dem PC Markt verantwortlich ist, im Grunde genommen plausibel. Es muss sich aber vor Augen geführt werden, dass es weniger mit den schlechten oder abschreckenden Eigenschaften von Windows 8 zu tun hat, denn so wird es gerne verstanden. Es ist vielmehr auf die Effizienz, das zu knapp geratene Verständnis vom PC, den beabsichtigten, kostengünstigen Umstieg auf das neue Betriebssystem und der für gewöhnlich längeren Lebensdauer der Rechner zurückzuführen.


Quelle: IDC
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