Editorial

Sonntagslektüre: Der Fall „Weather Flow“ oder woran Microsofts mobile Plattformen kranken

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Wie ist um die digitalen Kaufhäuser von Microsoft bestellt? Hat sich seit der heißdiskutierten Bestandsaufnahme von Tom Warren etwas getan? Die Signale, welche der Windows Phone sowie der Windows Store aussenden, sind zweideutiger Natur.

Einerseits lässt sich keinesfalls bestreiten, dass fast wöchentlich neue populäre Apps für unsere Plattformen erscheinen. Dass diese sich in puncto Qualität oft nicht mit iOS und Android messen können, ist dabei zweitrangig. Anderseits fahren genauso viele Unternehmen ihr Engagement zurück. In den USA betraf dies nicht zuletzt mehrere Kreditinstitute. Hierzulande lassen sich jedoch gleichfalls Beispiele finden. Barcoo ist seit einiger Zeit verschwunden. Lieferdienste, allen voran Lieferheld, scheinen ebenfalls keine Zukunft unter Windows Phone zu sehen. Von „Zombies“ wie Instagram wollen wir erst gar nicht reden. Da ändert es auch nichts, dass Vine am vergangenen Freitag ein umfangreiches Update erhalten hat.

Der Fall „Weather Flow“

Diese Woche hat es nun Weather Flow erwischt. Die Anwendung wurde aus dem Windows Phone Store entfernt. Neben Amazing Weather HD zählte sie zu beliebtesten Wetter-Apps. Seinen Schritt begründete der Entwickler, wie könnte es anders sein, ökonomisch. Der Anbieter seiner Wetterdaten habe die Preise erhöht. Für diese würden nun 1.500 US-Dollar im Monat fällig. Weather Flow werfe im selben Zeitraum aber nur 500 US-Dollar ab. Unter dem Strich ein Minus von 1.000 US-Dollar, welches er nicht mehr aus eigener Tasche tragen könne.

Nun kann man einwenden, dass sich Anwendungen dieser Art sowieso kaum rentabel betreiben lassen. Sind doch nur die wenigsten Kunden bereit, für Wetterinformationen zu zahlen. Schließlich kriegt man sie an unzähligen Stellen kostenlos, etwa bei MSN Wetter. Des Weiteren können sich Wetter-Apps lediglich über ihr Design, nicht allerdings über die Qualität ihrer Vorhersagen voneinander abgrenzen. Sämtliche Daten stammen von einer Handvoll Anbietern.

Einzige Ausnahme ist WeatherPro. Die verantwortliche MeteoGroup Deutschland GmbH, Europas größter privater Wetterdienst, hat jedoch ebenso die Entwicklung für Windows Phone 8 eingestellt. Ein längst überfälliges Update wird es nicht geben.

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Ein grundsätzliches Problem

Obwohl das Ende von Weather Flow auf den ersten Blick unspektakulär erscheint, handelt es sich bei diesem um die Spitze eines riesigen Eisberges: Microsoft mobile Betriebssysteme sind für Entwickler unattraktiv!

Über 70 Prozent der Entwickler für Windows Phone 8 und Windows 8/RT generieren im Monat einem Umsatz von weniger als 500 US-Dollar. Dies trifft hingegen nur auf 37 Prozent ihrer iOS-Kollegen zu. Darüber hinaus zeigt ein Blick ans obere Ende, dass 15 Prozent der Entwickler im App Store monatlich zwischen 50.000 und mehr als 200.000 US-Dollar umsetzen. Auf Microsofts Plattformen gelingt dies gerade einmal 3 Prozent.

Selbst ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen, dürfte die Statistik bereits auf den ersten Blick verdeutlichen, warum fast jedes Startup unter iOS startet. Warum die Qualität der Apps dort ihresgleichen sucht. Und das, obwohl Android gegenüber Apples mobilem Betriebssystem einen weitaus höheren Marktanteil für sich reklamieren kann.

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Ursachen sind hausgemacht

Die Zahlen sollten kaum jemanden überraschen. Wer greift denn größtenteils zu Windows Phone? Abgesehen von einkommensschwachen Bewohnern von Entwicklungs- und Schwellenländer? Zum einen alteingesessene Nokianer. „Einmal Nokia, immer Nokia“ lautete in den vergangenen Jahren ihr Motto. Zum anderen Nutzer, deren Ansprüche problemlos ein Feature Phone befriedigen könnte. Beispielsweise Senioren, an denen die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte fast spurlos vorbeigegangen ist. Die jetzt aber Facebook und WhatsApp für sich entdeckt haben. Und die via Skype ihren Enkeln bei Aufwachsen zuschauen möchten. Ein günstiges Lumia ist für diese mehr als ausreichend. Auswahl gibt es in diesem Bereich ja wahrlich mehr als genug.

Microsoft hat genau die Kundschaft, die es verdient.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Gegen diese und Personen mit ähnlichen Nutzungsprofilen ist nicht im Geringsten etwas einzuwenden. Nur gehören sie eben nicht zur Zielgruppe vieler Unternehmen. Sie zahlen nicht für Werbefreiheit in TV-Apps. Alternative Kalender oder Twitter-Clients kaufen sie nicht. Premium-Apps werden von ihnen nicht benötigt. Sie nennen kein Wunderlist Pro-Konto ihr Eigen. Unsummen für In-App-Währungen in Spielen geben sie vernüftigerweise nicht aus. Sie sind keine Trendsetter und Early Adopter. Und Microsoft sollte klar sein, dass sie in der Regel genauso wenig für Office 365 oder einen Xbox Music Pass in die Tasche greifen werden.

Natürlich sind auch viele Nutzer von iOS und Android nicht bereit, nur einen einzigen Cent für Apps und Dienste auszugeben. „Geiz ist geil“ ist dort ebenso omnipräsent. Viele können sich Geräte aus dem High-End-Bereich sowieso nur leisten, weil ihr Mobilfunkanbieter diese subventioniert. Die starke Fragmentierung des meistverbreiteten mobilen Betriebssystem tut ihr Übriges. Trotzdem ist die Entwicklung für iOS, gefolgt vom Web und Android, weitaus profitabler.

Nächste Version von Windows soll es richten

Doch mit Windows 10 soll alles anders werden. Wieder einmal. Redmonds Lösung: Universal-Apps.

Wer mindestens über eine Lizenz für Windows 7 verfügt, wird im ersten Jahr kostenlos auf Windows 10 umsteigen können. Laut Microsoft lechzt jeder, der von diesem Angebot Gebrauch machen wird, nur so nach Apps. Voilà, auf einen Schlag bieten sich Entwicklern ganz neue Möglichkeiten. Millionen von Kunden wollen bedient werden. Und da Windows 10 auch auf Smartphones läuft, wird die App-Problematik durch das Zusammenwachsen der Betriebssysteme gelöst.

Soweit der Plan. Ob dieser aufgehen wird, muss sich allerdings erst noch zeigen. Apps sind für mobile Betriebssysteme konzipiert. Windows 10 ist aber mehr als das. Wollen Nutzer am Desktop tatsächlich Apps nutzen? Selbst wenn sie nicht mehr im Vollbildmodus ausgeführt werden müssen? Trotz Continuum? Wo viele es in puncto Funktionsumfang noch nicht einmal mit Web-Apps aufnehmen können?

Appropos Web-Apps: Viele Anbieter werden auf die ihrigen verweisen. Im Gegensatz zu iOS und Android stehen auf Windows-Tablets vollwertige Browser zur Auswahl. Warum sollte man daher auf einem Surface Pro 3 keine Web-Apps nutzen wollen? Immerhin wird es als das „Tablet, das ihren Laptop ersetzen kann“, beworben. Nie ist es ohne Touch/Type Cover abgebildet. Es ist ein sexy Arbeitsgerät. Kein Infotainment-Spielzeug wie das iPad, was von der Qualität des App Stores lebt. Seinen Platz hat es in Vorlesungssälen und Meetings. Nicht im heimischen Wohnzimmer, zumal es vielen mit seinem 12 Zoll Bildschirm sowieso zu sperrig für die Couch ist. Daher konkurrieren Modelle aus der Surface-Reihe, obwohl ihre Besitzer über mehr als das nötige Kleingeld verfügen, nur bedingt mit Tablets aus dem Hause Apple. Vielmehr messen sie sich mit einem Thinkpad Helix oder Convertibles/Detachables anderer Hersteller.

Und was die meisten Nutzer eines „Volkstablets“ oder eines HP Stream 7 angeht, so gilt für sie dasselbe, was wir zuvor über die Käufer von Lumias aus dem Einstiegsbereich ausgeführt haben.

Einfache Lösungen sind nicht in Sicht

Mit kurz- und mittelfristigen Lösungen können wir nicht dienen. Microsofts Plattformen sind so aufgestellt, wie sie es eben sind. Außerdem kam der Einstieg in den Markt für Smartphones und Tablets viel zu spät. Redmonder Führungskräfte hielten es bekanntlich lange Zeit für sinnvoller, sich über Smartphones zu amüsieren, die lediglich über einen einzigen „Home Button“ verfügen. So etwas werde sich nie durchsetzen.

Für den Anfang könnte Microsoft, zumindest für die nächsten Jahre, auf seine dreißigprozentige Umsatzbeteiligung im Windows Store verzichten. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie halbherzig gegen Plagiate und Urheberrechtsverstöße vorgegangen wird, dürften sich die meisten Entwickler sowieso fragen, wofür diese überhaupt fällig wird. Mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein wäre aber auch diese Maßnahme nicht.


(Bild-)Quelle(n): Windows Central, Developer Economics via WMPU

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Consultant. Outdoor-Sportler. Serienjunkie. Braucht Kaffee. Mag Bourbon und Habanos. Liebt Champagne-Powder.
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