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Microsoft & Nokia – Eine Partnerschaft auf dem Prüfstand der Medien

Heikle Äußerungen vonseiten Nokias Vizechef Bryan Biniak gefährden das nach außen heil wirkende Verhältnis zwischen dem finnischen Handy-Hersteller und Microsoft. Diese betreffen die gering ausfallende Priorisierung des  Windows Phone Betriebssystems, die mangelnde App-Vielfalt und sind in ihrem Tenor an sich sehr eindeutig, so dass es selbstverständlich nicht wundert, wenn hiesige und internationale Medien von einer Enttäuschung, platzenden Kragen und harter Kritik berichten. Allerdings sind wir dafür bekannt, derartige Geschehen stillschweigend zu beobachten, was sich in diesem Fall tatsächlich angeboten hat – der Grund hierfür wird sich im Laufe des Artikels erschließen.

Mehr Apps, mehr Qualität

Die International Business Times brachte den Stein ins Rollen, als sie am 26. Juli ein Interview veröffentlichten, demzufolge Biniak unzufrieden mit Microsofts Einsatz für das Windows Phone Betriebssystem sei. Seiner Unzufriedenheit verleiht er anhand mehrerer Thesen Ausdruck und begründet sie selbstverständlich auch. So mangle es dem mobilen Betriebssystem weiterhin an einer signifikanten App-Vielfalt, wobei es nicht nur darauf ankomme, sondern auch auf die Qualität der bereits vorhandenen Anwendungen.

Um einen Grund zum (Betriebssystem-)Wechsel zu bieten, muss ich sicherstellen, dass die für den Nutzer relevanten Apps nicht nur vorhanden, sondern besser sind. Ich habe außerdem dafür Sorge zu tragen, dass dem Nutzer ein einzigartiges Benutzererlebnis geboten wird, das auf keinem anderen Gerät existiert. […]

Wir veröffentlichen häufig neue Geräte und mit jedem neuen Gerät, für das eine wichtige App fehlt, geht eine verpasste Verkaufsgelegenheit einher. […]

Die Leute verlassen sich  auf Apps, die sie in ihrem täglichen Leben begleiten, und ich wechsle kein Betriebssystem, wenn solche Apps fehlen. Man möchte nämlich keinen Kompromiss in Bezug auf die Lebensweise eingehen, nur um auf ein anderes Smartphone wechseln zu können. […]

Es geht nicht nur um die Hardware, sondern um die Tools, die auf der Hardware laufen. Smartphones lassen sich ohne Apps nicht verkaufen, das kann man einfach nicht. […]

/ Bryan Biniak – Vizechef bei Nokia

Im gleichen Atemzug relativiert Biniak die oben zitierten Aussagen, denn obschon der Windows Phone Store bisher „nur“ 165.000 Apps sein Eigen nennt, sehe er keine großen Lücken im App-Katalog. Das sei wiederum nicht gleichbedeutend damit, dass „ausgewählte Apps“ nicht für Windows Phone erscheinen müssen. Microsoft und Nokia stehen demnach mit jedem Entwickler in Verbindung, der eine wichtige App entwickelt hat, und ihre Veröffentlichung im Windows Phone Store sei lediglich eine Frage der Zeit.
Unabhängig vom Interview, aber nichtsdestotrotz von Relevanz, ist die größte unabhängige (Mobile-)Entwickler-Studie, die über 6.000 Teilnehmer verzeichnet und ein großes Interesse seitens der Entwickler für das Windows Phone Betriebssystem aussagt. Das bedeutet in etwa, dass 35% der Beteiligten angaben, im dritten Quartal 2013 App(s) für Windows Phone zu entwickeln, vergleicht man diesen Wert etwa mit dem Interesse von 26% der Teilnehmer, die für iOS zu entwickeln möchten, kommt Microsofts Betriebssystem durchaus gut weg. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass 71% der Entwickler bereits für Android entwickeln, im Fall von iOS sind es wiederum 56%.

Mangelnde Schnelligkeit

Darüber hinaus habe Biniak in dem Interview ausgeführt, dass obwohl Nokia und Microsoft eine enge Partnerschaft pflegen, sich beide Unternehmen mit unterschiedlichen Herangehensweisen dem Thema Windows Phone nähern; dabei sei er allerdings nicht so weit gegangen zu behaupten, Microsoft trage gänzlich die Verantwortung für die Probleme im Zusammenhang mit Windows Phone.

So sei Nokia für Innovationen und Entwicklung bekannt und ein Smartphone-Hersteller, der allein in den vergangenen 12 Monaten über 10 Lumia Smartphones veröffentlicht habe. Microsoft hingegen komme aus der Desktop-Software Umgebung, die in der Regel jährlich aktualisiert wurde,  in die mobile Ebene. Dabei gelinge es dem Unternehmen nicht, sich schnell genug an den sich rasch verändernden Smartphone-Markt anzupassen.

Somit scheinen die Redmonder aus Nokias Sicht nicht schnell genug  zu sein, was sich auf ein Unternehmen, das von dem Verkauf von Smartphones lebt, selbstredend negativ auswirkt. Gleichwohl sei sich Biniak darüber im Klaren, dass es von Nokia abhänge, die an Microsoft gerichtete Botschaft in Bezug auf die Windows Phone Praktiken zu verstärken.

Wir versuchen [bei Microsoft] die kulturelle Denkweise zu entwickeln, demgemäß die entscheidende Bedeutung des Zeitfaktors deutlich wird. Bis auf das Ende des Fiskaljahres zu warten, um Aufgaben abzuschließen, wirkt sich nicht gut auf uns aus, wenn ich bereits heute Smartphones verkaufen muss.

/ Bryan Biniak – Vizechef bei Nokia

Daneben entnehmen gewisse Medien dem Interview, Biniak habe den Eindruck, dass Microsoft sonstige eigene Produkte wie Windows 8, die Xbox und das Surface zulasten von Windows Phone in den Vordergrund rücke. Ungeachtet dessen, dass es sich bei dem betreffenden Absatz im Artikel der International Business Times nicht um ein wörtliches Zitat, sondern vielmehr um Vermutungen des Artikel-Verfassers handelt, soll mit mit diesem Satz eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Interview, der sie veröffentlichenden Internetseite sowie den äußeren Rahmenumständen eingeleitet werden.

Das „Wir“ steht im Vordergrund

Angenommen, Nokia ist tatsächlich unzufrieden mit Microsoft und seiner Herangehensweise an das Windows Phone Betriebssystem, so stellt sich zunächst die Frage, ob die in besagte Priorisierung verwerflich ist oder nicht. Die Frage lässt sich aus der Sicht des Durchschnittskonsumenten – der im Extremfall lediglich das Windows Phone OS nutzt – schnell beantworten: Microsoft muss für alle Unternehmensbereiche das gleiche Maß an Ressourcen aufbringen oder gar dem Windows Phone Betriebssystem eine vorrangige Rolle beimessen.

Beleuchtet man die These aber aus der unternehmerischen Sicht sowie aus der Perspektive eines umfassend in das Microsoft Ökosystem eingebetteten Konsumenten, könnte die gerügte Verteilung der vorhandenen Ressourcen anders zu werten sein. Hierfür kann beispielsweise eine Gegenüberstellung der jeweiligen (Geschäfts-)Abteilungen in den beiden Unternehmen durchgeführt werden – zahlenmäßige Gegenüberstellungen sprechen oftmals Bände, so auch in diesem Fall:

Microsoft Geschäftsbereiche (bis zur angekündigten Umstrukturierung)

  • Windows Division:  4,411 Milliarden Dollar Umsatz; 1,099 Milliarden Dollar Gewinn.
  • Servers and Tools: 5,502 Milliarden Dollar Umsatz; 2,325 Milliarden Dollar Gewinn.
  • Online Services Division: 804 Millionen Dollar Umsatz; 372 Millionen Dollar Verlust.
  • Microsoft Business Division: 7,213 Milliarden Dollar Umsatz; 4,873 Milliarden Dollar Gewinn.
  • Entertainment & Devices Division (inkl. Windows Phone): 1,915 Milliarden Dollar Umsatz; 110 Millionen Dollar Verlust.

Nokias Geschäftsbereiche (vgl. Quartalsbericht, 18. Juli 2013)

  • Devices & Services and corporate common: 3,615 Milliarden Dollar Umsatz; 43,8 Millionen Dollar Verlust
  • HERE: 309 Millionen Dollar Umsatz; 118 Millionen Dollar Verlust
  • Nokia Siemens Networks: 3,690 Milliarden Dollar Umsatz, 10,6 Millionen Dollar Gewinn

Demzufolge handelt es sich bei den Äußerungen der Führungskraft bei Nokia letztlich um eine Situationsbeschreibung, die zumindest aus der letztgenannten Perspektive nachvollziehbar ist. Wir schilderten nämlich schon im Bericht über Microsofts Finanzreport zum 2. Quartal 2013, welche teilweise beträchtlichen Einnahmen und Gewinne mit den einzelnen Abteilungen verbunden sind und somit eine kalkulierte Verteilung der aus Zeit, Geld und Arbeitskraft bestehenden Ressourcen naturbedingt vorausgesetzt wird. Hinzu kommt, dass Microsofts CEO Steve Ballmer bereits angekündigt hat, eine interne Neuausrichtung vorzunehmen, was nicht zuletzt der Flexibilität des Soft- und Hardware-Unternehmens zugute kommen soll. Besonders das Windows Phone OS könnte von der künftig unter einem Dach stattfindenden Entwicklung aller Betriebssysteme profitieren.

Hinzu kommt, dass Biniak seinen Äußerungen zu Trotz optimistisch gestimmt ist. Er sieht die Plattform nämlich bis spätestens Ende März 2014 mit allen wichtigen Apps versorgt:

Bis Ende 2013 wird Windows Phone einen Punkt erreichen, an dem Leute nur schwer behaupten können, dass „Windows Phone diese App nicht besitzt“ und das macht einen maßgeblichen Unterschied. Ich denke, dass es keinen App-Entwickler geben wird, mit dem wir keine kommerziellen Verträge schließen und selbst wenn einige Apps nicht bis zum Ende des Jahres erscheinen, kommen sie jedenfalls vor Ende März. […]

/ Bryan Biniak – Vizechef bei Nokia

In dem Schock über diese vermeintlich harte Kritik ging allerdings ein kurz darauf mit Nokias Smartphone-Chefin geführtes Interview nahezu unter. In diesem betont Jo Harlow von Nokia die in Zukunft enger zusammenwachsende Partnerschaft mit Microsoft, aus der beispielsweise besser aufeinander abgestimmte Hard- und Software resultiere. Als Beispiel wird hier zu Recht das Lumia 1020 angeführt. Sie sucht außerdem nicht die Schuld bei einer Seite, sondern spricht vielmehr regelmäßig in der „Wir“- und „Uns“-Form; auf diese Wortwahl soll im Übrigen auch Bryan Biniak während des Interviews mit der International Business Times geachtet haben, das findet im zugehörigen Artikel wiederum nur beiläufig Erwähnung.

Wir brauchen ein stärkeres Bewusstsein für Windows Phone und Lumia, wir benötigen ein breiteres Ökosystem an Anwendungen, […]

Wir werden in Bezug auf die Produkte, die wir herstellen, und die Innovationen innerhalb dieser Produkte in Zukunft sehr eng zusammenarbeiten. Es ist eine zweispurige Straße.

/ Jo Harlow, Chefin der Smartphone-Abteilung bei Nokia

„Die Entscheidung eines wahnsinnigen Irren“

Angesichts dieser – alles andere als vor Wut und Ungeduld überlaufenden – Aussagen sowie aufgrund von Biniaks relativierenden Äußerungen, die er nicht ausschließlich der IBTimes gegenüber getroffen hat, liegt der Verdacht einer überspitzten Darstellung der Beziehung zwischen Nokia und Microsoft nahe. Hinzu kommt ein weiterer Umstand, auf den wir lediglich durch Zufall aufmerksam wurden. Der Verfasser des Artikels zum Microsoft-kritischen Interview mit Bryan Biniak heißt David Gilbert und hat am 19. Juli einen weiteren Bericht zum Thema „Microsoft und Nokia“ respektive „Weshalb Microsofts Mangel an Innovationen Nokia tötet“ veröffentlicht, in dem er Android als das „aufblasbare Rettungsboot“ und Windows Phone als das „eiskalte und turbulente Wasser“ umschreibt.
Des Weiteren ist Gilbert der Ansicht, Stephen Elops Entscheidung gegen Android und für Windows Phone wirkte im Jahr 2011 noch merkwürdig, wohingegen es aus der heutigen Sicht „die Entscheidung eines wahnsinnigen Irren“ sei. Diese Ansicht fließt zum Teil auch in den in Rede stehenden Beitrag über das Interview mit Biniak hinein, so dass er im Sinne der Objektivität dementsprechend gewürdigt werden sollte.


Quellen: ibtimes.com (1), ibtimes.com (2), engadget.com, venturebeat.com | Bildquellen: wired.com, techstagram.com 
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