Editorial

Windows 10 on ARM und der Always Connected PC – Dead On Arrival? Eher nicht.

Microsoft und Qualcomm haben Ende 2016 sehr überraschend eine weitreichende Partnerschaft angekündigt, welche ARM-basierte Windows 10-PCs Realität werden lassen sollte.

Windows 10 ARM – Fast alles richtig gemacht

Dabei will man aus den Fehlern von Windows RT gelernt haben und Windows 10 on ARM soll einerseits keinerlei Kompromisse und andererseits merkbare Vorteile im Vergleich zu x86-basierten Geräten bieten. Dies soll auf durch eine Emulation möglich gemacht werden, die Nutzer auch traditionelle Windows-Desktop-Programme ausführen lässt. Microsoft demonstrierte diese Funktionalität bereits im Vorjahr mit Adobe Photoshop und das Programm lief überraschend reibungslos auf dem PC mit Smartphone-Prozessor. Erste Benchmarks mit Geekbench lesen sich durchaus vielversprechend. Obwohl das Benchmark-Programm unter Windows 10 on ARM emuliert werden muss, war die Performance sehr nahe an einem Intel Core i3-6006U, einem Prozessor, der beispielsweise im Surface Pro 3 verbaut war. Das ist zwar nicht genug für Gaming oder Videobearbeitung, allerdings locker ausreichend für den Alltag und sollte auch die eine oder andere leichtere Photoshop-Aufgabe erledigen können. Allein das ist aus technischer Sicht bereits eine Sensation.

Das soll verhindern, dass Windows 10 on ARM sich für den Nutzer merkbar von anderen Windows 10-Geräten unterscheidet. Es soll lediglich über die Vorteile gesprochen werden, die klar auf der Hand liegen: Bis zu 22 Stunden Akkulaufzeit bei Video-Wiedergabe soll das ASUS NovaGo bieten, ein grandioser Wert, wenn man es mit anderen Notebooks dieser Kategorie vergleicht. Zudem gibt es standardmäßig LTE-Konnektivität, eine deutlich dünnere Bauform, keine Lüfter und ein sofortiges Aufwachen aus dem Standby, wie man es vom Smartphone kennt.

Das Dead On Arrival-Risiko

Nachfolger vor dem Start bekannt

Die Zielgruppe ist klar definiert und außerordentlich breit, was für eine neuartige Gerätekategorie eine sehr gute Sache ist. Wenn Performance und Akkulaufzeit so zutreffen, wie oben beschrieben, werden die Geräte, vor allem in Kombination mit Subventionierung der Mobilfunkanbieter, weggehen wie warme Brötchen. Was steht einem Erfolg denn im Weg, wenn alles so funktioniert, wie es Qua lcomm und Microsoft versprechen?

Nun, einerseits Microsoft. Windows 10 on ARM ist noch lange nicht fertig und ein entsprechendes Update für das Betriebssystem wird wohl erst mit Redstone 4 ausgeliefert. Das Update wird im März bzw. April 2018 erwartet und das ist eine sehr lange Zeit, vor allem, da Microsoft nicht erst seit gestern von Windows 10 ARM spricht.

Tatsächlich begann man nämlich schon Ende 2016 mit den öffentlichen Ankündigungen und zumindest die informierte Online-Welt erwartet langsam auch Ergebnisse. Diese Ergebnisse kommen im Frühjahr 2018 und damit viel zu spät.

Die erste Generation der Windows 10 on ARM-Geräte kommt mit dem Snapdragon 835-Chip nämlich frühestens im März und die zweite Generation mit dem besseren Snapdragon 845-Chip frühestens ab Mitte 2018, ließ ein hoher Qualcomm-Manager erst gestern wissen. Im besten Fall ist die erste Generation sechs Monate aktuell bevor sie abgelöst wird. Jeden informierten Käufer wird das abschrecken, jeder ehrliche Journalist und Tester wird bei der Empfehlung zögerlich sein und wenn dann auch noch nicht alles genauso funktioniert, wie Microsoft und Qualcomm es versprechen, hagelt es gewöhnlich harte Kritik.

Windows 10 S – Schon wieder kein „echtes“ Windows?

Im schlechten Fall kann man die Frage in den Raum stellen, wie lange es denn dauert bis in der Presse der Vergleich zu Windows RT zieht. Die kritische Fachpresse, besonders in Deutschland, scheint häufig selbst vor völlig falschen Behauptungen keinen Halt zu machen, wenn es um Kritik an Microsoft geht, wie wir 2015 mit unserem Windows 10 Mythen-Artikel aufgezeigt haben. Die Kunden werden die Geräte meiden und vielleicht sogar Windows 10 generell noch kritischer sehen. Wenn Kunden verwirrt werden, kann das einem Betriebssystem ordentlich schaden und Windows 8 war ein großartiges Beispiel.

Viele Kunden konnten Windows RT nicht von Windows 8 unterscheiden, was man ihnen auch gar nicht verübeln kann. Sie trafen entweder selbst die falsche Entscheidung oder lasen in der Fachpresse, dass Microsoft ihnen heimlich ein „gefälschtes“ Windows unterjubeln will. Entsprechend wurden Neukäufe gemieden, wenn sie nicht unbedingt notwendig waren. Die Kunden waren verwirrt und das zurecht.

Mit Windows 10 on ARM macht es Microsoft den Kritikern allerdings besonders einfach, diesen Vergleich zum Windows RT-Flop zu ziehen. Die Geräte werden nämlich standardmäßig mit Windows 10 S ausgeliefert, das bekanntlich nur Apps und Programme aus dem Windows Store ausführen kann.

Microsoft betont also auf der einen Seite, dass die Geräte mit ARM-Prozessoren keinerlei Kompromisse zu „normalen“ Windows 10-Geräten bieten und auf der anderen Seite wirbt man dafür, dass das Upgrade auf Windows 10 Pro, das die meisten Menschen im Vergleich zu Windows 10 S als voll-funktionales Windows-System bezeichnen würden, bis September 2018 kostenlos ist. Und daraufhin gibt es wieder Fragen, die sich nicht vermeiden lassen: „Und was ist danach, wenn ich das xxx-Programm benötige?“ „Muss ich danach für Windows 10 etwa wie bei einem Abo zahlen?“ Beide Fragen wurden nämlich auch beim kostenlosen Windows 10-Upgrade überraschend häufig in genau dieser Form gestellt. Es zeigt deutlich, dass es sehr viel Raum für falsche Vergleiche und für Verwirrung gibt.

Microsoft hätte den Kritikern allerdings ganz einfach den Wind aus den Segeln nehmen können, indem man Windows 10 Pro für ARM standardmäßig und für die OEMs kostenfrei bereitstellt, zumindest, solange das Produkt nicht erfolgreich auf den Markt gebracht hat. Windows 10 Pro auf den Geräten ist zwar auch so kostenfrei möglich, aber man bewirbt es entweder aktiv und lässt die Kunden vermuten, dass mit dem vorinstallierten System irgendetwas nicht stimmt oder man schreibt es ins Kleingedruckte, was die Windows RT-Gerüchte nährt.

Schlusswort: Was wäre die Welt ohne Risiko?

Windows 10 on ARM wird aller Voraussicht nach einen schweren Start haben, dafür hat Microsoft jedenfalls gesorgt.

Microsoft und Qualcomm kann man eine Sache allerdings nicht vorwerfen: Nicht innovativ zu sein. Mit Windows 10 on ARM haben die beiden Unternehmen eine neue Produktkategorie geschaffen, nämlich den Always Connect PC, der zumindest verspricht, den mobilen PC für sehr viele Nutzer zu revolutionieren. Der PC wird zum Smartphone in Groß, immer bereit, immer verbunden und mit schier unglaublichen Akkulaufzeiten.

Microsoft, Qualcomm und die beiden Hersteller-Partner HP und ASUS nehmen große Risiken auf sich, um die Revolution des mobilen PCs an den Mann zu bringen. Nachdem Microsofts ARM-Ausflüge (Windows RT, Windows Phone) bislang allesamt zum Scheitern verdammt waren, scheint dieses Projekt für die Hersteller ausreichend Vertrauen zu verdienen, dass sogar drei davon, nämlich ASUS, HP und Lenovo, namentlich damit in Verbindung gebracht werden wollen. Keine Selbstverständlichkeit, drohte Intel erst vor wenigen Monaten mit einer Klage.

Windows 10 on ARM – Microsoft ist innovativ

Als Apple beim iPhone 7 von „Mut“ sprach, weil man zum Nachteil der eigenen Kunden mit der Klinke den einzigen standardisierten Anschluss vom eigenen Smartphone entfernt hat, barg das ein gewisses Risiko. War die Entfernung eines sinnvollen Anschlusses jedoch innovativ? Ich würde sagen, nein. Was Microsoft und Qualcomm auf die Beine gestellt haben, das ist Innovation. Es ist spannend, jedenfalls riskant und vielleicht möchte man das gar als mutig bezeichnen.

Ich denke, dass sich Microsoft selbst Steine in den Weg legt, jedoch dies dem Erfolg des Always Connected PCs nicht im Weg stehen wird, zumindest nicht langfristig. Sofern Windows 10 on ARM hält, was Microsoft und Qualcomm versprechen, sind die Produkte eine willkommene Alternative zu den meist Intel-basierten mobilen PCs. Die Zielgruppe jener Nutzer, denen die Performance eines Intel Core i3-6006U für x86-kompilierte Desktop-Programme reicht, ist nicht klein, vor allem dann, wenn man den Premium-PC im Laufe eines Mobilfunkvertrags in Raten abbezehalen kann, dafür eine unglaublich lange Akkulaufzeit bekommt und LTE-Konnektivität an Bord hat.

Mit Sicherheit kann niemand sagen, ob sich der Always Connect PC nun verkaufen wird wie warme Brötchen oder ob man einen Ladenhüter produziert hat. Sehr viele Faktoren werden eine Rolle spielen, aber sicher ist, dass es diesen neuen Ansatz gebraucht hat.

Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft und im Bereich der mobilen PCs wird dafür auch höchste Zeit.

„Here’s to the crazy ones.“

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"Entdeckung besteht darin, den gleichen Gegenstand wie alle anderen zu betrachten, sich aber etwas anderes dabei zu denken."
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