Die Geschichte von Microsoft hat schon einige große Erfolge gesehen. All diesen Erfolgen gingen jahrelange Arbeit an Innovationen, ein unbezähmbarer Wille und ein unerschütterbares Vertrauen in das eigene Produkt voraus.
Was sagte Microsoft Anfang dieses Jahrtausends, dass es Zeit für eine neue Spielekonsole war? Und wie rechtfertigte man die Entwicklung der Xbox 360 nach dem eher durchwachsenen Start der allerersten Xbox? Was brachte Microsoft dazu, die Surface-Reihe trotz des katastrophalen Starts des Surface RT weiterzuentwickeln? In Wahrheit gar nichts.
Wenn alles gegen Microsoft sprach, konnte sich der Konzern oft am Markt durchsetzen. Heute zählt das Unternehmen zu den fünf größten PC-Herstellern in den USA und Xbox ist, wenn auch auf Konsolen-Rang drei, zweifellos ein vertrauter Name im Gaming-Bereich. Beides sind Erfolgsbeispiele, die enormes Vertrauen in die eigenen Produkte und große finanzielle Investionen in die Entwicklung sowie die Vermarktung erforderten.
Die Kunst des Verschlafens
In den letzten Jahren ist Microsoft jedoch eher dafür bekannt geworden, besonders im Consumer-Bereich eigene Produkte recht kaltherzig einzustampfen. Das Unternehmen hat es besonders unter der Führung von Satya Nadella geschafft, gleich mehrere Produkte ohne echte Ankündigungen, eine lange Vorlaufzeit oder einen Nachfolger einzustampfen. Ein erwähnenswertes Beispiel ist zweifellos Windows Phone, das durch Windows 10 Mobile erst der Konformität zu Android zum Fraß vorgeworfen wurde und letzten Endes doch sterben musste. Groove Music musste trotz Microsofts langjähriger Geschichte im Musikstreaming-Geschäft für eine Spotify-Partnerschaft weichen, das Microsoft Band wurde wegen Qualitätsproblemen bei der zweiten Generation verworfen und Cortana ist wohl das nächste Opfer dieser sehr kalten Strategie. Zum Vergleich: Google hat es erst nach 8 Jahren übers Herz gebracht, das soziale Netzwerk Google Plus in Rente zu schicken.
Cortana, Windows Mobile und Groove Music waren allesamt Pioniere. Microsoft hatte einen Musikstreaming-Dienst bevor Spotify überhaupt gegründet wurde. Windows als System für PDAs, den Vorgänger moderner Smartphones, gab es bereits seit dem Jahr 1996. Und Cortana war neben Siri lange Zeit die einzige digitale Assistentin auf dem Markt. Dennoch wurden diese Produkte durch fehlende Innovationen, Verbesserungen und mangels konsequenter Vermarktung von ihrer Konkurrenz überholt. Das Durchhaltevermögen sowie der feste Glaube an das eigene Produkt hatte zweifellos gefehlt.
Natürlich spielten auch andere Faktoren eine Rolle. Einmal hatte man die Konkurrenz unterschätzt, ein anderes Mal das eigene Produkt. Aber wie schwer wäre es gewesen, beim Aufkommen des ersten Alexa-Lautsprechers, die zum damaligen Zeitpunkt deutlich fortschrittlichere Cortana ebenfalls einfach weltweit auf smarten Lautsprechern auszuliefern? Google begann erst Jahre danach mit der Entwicklung des Assistant ist nun selbstverständlich auch vor Microsoft im Ambient Computing-Markt. Groove Music war seit 2013 auf der Xbox als exklusiver Streamingdienst vorhanden, hatte eine größere Musikauswahl als Spotify, zahlte den Künstlern mehr als Spotify pro Stream und war auf Millionen PCs weltweit vorinstalliert. Anstatt das attraktive Familienabo von Spotify zu kopieren, wie Instagram Snapchat kopiert und langsam auseinandernimmt oder mit Xbox Live bzw. Office 365 zu bündeln, stellt Microsoft den Dienst einfach ein. Ohne Kampfgeist, ohne Willen oder Leidenschaft.
Foldables: Smartphones, die Zweite?
Als Microsoft den Windows Phone-Zug damals langsam aber sicher Richtung Abstellgleis navigierte, sagte Satya Nadella immer wieder eine Sache. Ungefähr folgendes war immer wieder vom Microsoft-Chef zu hören: Das nächte große Ding beim ultramobilen Computing kommt von uns.
2019 kündigt sich das nächste große Ding im mobilen Computing an. Die Ankündigungen kommen aber von Samsung, Huawei, Xiaomi und ihr Partner in dieser Sache heißt nicht Microsoft, sondern Google mit Android. Das nächste große Ding sind Foldables. Smartphones, die zu Tablets werden, Tablets, die zu Smartphones werden und Tablets, die sich zum Mitnehmen halbieren lassen. Die kleinen Computer in unserer Hosentasche werden zu etwas größeren Computern, wenn sie ausgepackt sind. Ermöglicht wird diese Gerätekategorie von faltbaren Displays, welche in diesem Jahr marktfähig werden sollen.
Für einen Hersteller, welcher seit 2010 an einem faltbaren, digitalen Notizbuch arbeitet, hört man in dieser Hinsicht von Microsoft überraschend wenig. Als würde der Konzern erneut vom Trend zu faltbaren Geräten gänzlich überrascht werden. Stattdessen dominieren Samsung, Xiaomi und Huawei die Diskussion rund um diese Gerätekategorie und bei den Betriebssystemen wird ausschließlich über Android gesprochen. Windows für Foldables gibt es nicht, zumindest nicht in der öffentlichen Wahrnehmung.
Foldables sind Microsofts Chance
Dabei bieten Foldables für Microsoft erstmals die Chance, eine der eigenen Stärken auszunutzen, die Verbindung von Smartphone und PC. Es ist zweifellos eine Stärke des Konzerns, zwei unterschiedliche Formfaktoren zusammenzuführen. Microsoft hat mit dem Surface den Trend zu 2-in-1-Geräten überhaupt erst gestartet. Von Apple anfangs als „Kühlschrank-Toaster“ belächelt, hat der Hersteller aus Kalifornien drei Jahre später Microsofts Konzept kopieren müssen. Nutzer bevorzugten Windows 2-in-1s gegenüber Android- und iOS-Tablets, weil sie dank des Desktop-Systems ihren PC oder Laptop ersetzen konnten und dazu noch ein Tablet hatten für den Medienkonsum auf dem Sofa oder unterwegs. Microsofts Windows bot die Symbiose aus zwei Welten.
Foldables sind erneut eine solche Chance. Ein PC für die Hosentasche, aufgeklappt ein Windows-Tablet mit all den Stärken eines echten Computers. Diese Idee, von der Microsoft selbst und unzählige Windows-Fans seit Jahren träumen, scheint aber aktuell noch in weiter Ferne zu sein. Stattdessen deutet sich an, dass Google mit Android diesen Bereich zwischen Smartphone und Windows 10 2-in-1 für sich entscheiden wird.