Nokia hat im Zuge des Mobile World Congress 2019 in Barcelona mit dem Nokia 9 PureView sein neuestes Flaggschiff angekündigt. Mit einem Setup aus fünf Kameras auf der Rückseite soll das Smartphone in der Lage sein, mehr Details einzufangen und insgesamt bessere Fotos aufzunehmen. Der Konzern hat sich allerdings verändert und ist zur Google-Hochburg mutiert.
Nokia 9 PureView: Enormer Hype um nichts?
Fünf Kameras auf der Rückseite. Damit hebt Nokia die Anzahl auf ein noch absurderes Level als alle Hersteller bisher. Samsung integriert beim Galaxy S10 Plus drei Kameras mit jeweils unterschiedlichen Linsen. Nokia baut fünf gleiche 12 Megapixel Kameras ein, von denen drei Monochrom-Aufnahmen erstellen und zwei Farbaufnehmen erstellen.
Die Technologie hierfür hat sich der Hersteller HMD hinter der Nokia-Marke von Light ausgeliehen. Deren eigenes Produkt mit 16 Kameras hatte Tester in der Vergangenheit eher enttäuscht. Das neue Nokia-Flaggschiff erlaubt nun eine nachträgliche Änderung des Fokus, was man allerdings fast schon als nette Spielerei abtun kann. Das Lumia 920 von 2012 konnte das auch mit der einen Kamera, die es hatte. Als bahnbrechend wurde das Feature nie angesehen.
Nokia verspricht sich dadurch auch eine verbesserte Tiefenschärfe und einen größeren Dynamikbereich, was angesichts der verfügbaren Hardware eine logische Verbesserung sein sollte. In den ersten Tests auf dem Mobile World Congress waren die Unterschiede zu bekannten Flaggschiff-Smartphones und ihren entsprechenden Kameras allerdings nicht vernehmbar.
Rein äußerlich sieht das Nokia 9 PureView abgesehen von der Rückseite aber aus wie jedes andere generische Smartphone aus dem Jahr 2017. Es gibt vergleichsweise breite Ränder oben und unten, nicht mehr ganz aktuelle Hardware und vor allem vergleichsweise wenige echte Innovationen, vor allem dann, wenn die Kamera nicht bahnbrechend besser sein sollte.
Braucht die Welt wirklich noch mehr gleiche Smartphone-Kameras? Basierend auf einigen Testfotos scheint die Investition von Nokia eher fehlgeleitet zu sein, während Samsung mit Weitwinkel- und Telefoto-Linsen in unterschiedlichen Situationen auf Wunsch mehr Schärfe oder mehr vom Motiv einfangen kann. Die Hardware ist nicht brandaktuell und generisch, fast genauso uninspiriert wie das kleinere Google Pixel 3.
Nokia ist nicht mehr Nokia
Abgesehen von der Tatsache, dass sich HMD sein Büro direkt neben Nokia in Espoo gebaut hat, einige Mitarbeiter vom Lumia-Team übernommen und man einige Design-Akzente ideenlos von der alten Lumia-Reihe kopiert, hat Nokia mit Android in Wahrheit gar nichts mit Nokia aus Windows Phone-Zeiten oder gar noch früher zu tun. Als jemand, der Nokia seit Kindesbeinen an verwendet und in Handy- und Smartphone-Zeiten mit Stolz verteidigt hat, fällt mir zu den heutigen Flaggschiffen des Konzerns nicht viel mehr als „seelenlos“ sein. Ich meine damit nicht, dass die Geräte schlechter geworden sind. Mir scheint nur, Nokia hätte das aufgegeben, wofür man einst stand.
So dachte ich ehrlich auch, als Nokia 2011 mit Microsofts ins Bett stieg. Mit der Kooperation mit einem US-Technologieriesen und Zusammenarbeit an einem abgeschlossenen System konnte ich mich lange nicht anfreunden. Die Einzigartigkeit der Windows Phone-Plattform hatte mich im Endeffekt überzeugt. Aber auch diese Unwilligkeit von Nokia, sich mit dem Status Quo abzufinden. Nokia hat die mobile Windows-Plattform über die Jahre mit unzähligen eigenen Apps aufgewertet, ließ sich von Microsoft im Grunde nichts diktieren und baute trotz der Abgeschlossenheit von Windows Phone 8.1 auch eigene Updates für das System.
Obwohl man von der Windows-Plattform enorm eingeschränkt war, ließ man sich bei Innovationen nicht bremsen. Das Lumia 920 war das allererste Smartphone überhaupt mit Wireless Charging und optischer Bildstabilisierung. Und das Lumia 1020 ist in Sachen Schärfe erst 2018 vom Huawei P20 Pro eingeholt worden.
Nokia hielt sein Versprechen und bot Windows Phone-Nutzern über die Nokia Care Suite die Möglichkeit, selbst eine Betriebssystem-Version der Wahl zu installieren. Lieferte der Netzbetreiber ein Update nicht aus, holte man es sich eben selber per NaviFirm und Care Suite und das bei einem Windows Phone-System, das auch heute noch geschlossener und sicherer ist als Android.
Nokia hält Versprechen nicht
Obwohl Nokia zum vermeintlich offenen Google-Betriebssystem gewechselt ist, vermissen alteingesessene Nokia-Fans die (versprochene) Offenheit des Konzerns.
Nokia hat von Anfang an das Versprechen gegeben, dass man den Bootloader der eigenen Geräte entsperren lassen wird. HMD produziert seit Anfang 2017 Smartphones und seitdem steht auch dieses Versprechen. Getan hatte sich bis September 2018 nichts. Obwohl man Zitat „ein Modell nach dem anderen“ öffnen wollte, wird bis heute nur das Nokia 8 unterstützt. Ein einziges von 19 Smartphones, die der Hersteller in den letzten Jahren auf den Markt gebracht hat.
Beim anscheinend grenzenlosen Android hat die Offenheit ausgerechnet bei Nokia-Smartphones ein Ende. Genau jene Nokia-Fans, die dem Hersteller seit den alten Tagen die Treue halten, sind nun von der neuen Konzernstruktur besonders enttäuscht. Wer Android für seine Offenheit schätzt, kauft schon lange kein Nokia und das obwohl die Offenheit stets ein Credo des europäischen Konzerns war.
Nokia 7 Plus: Konzern ignoriert enorme Probleme
Ich habe ein Nokia 7 Plus und ich war sehr lange hochzufrieden. Es war für mich das beste Nokia-Smartphones, das der Konzern gebaut hatte. Seit Ende Sommer 2018 plagen mein Gerät jedoch immer mehr Fehler, genaugenommen seit es Android 9 Pie bekommen hat.
Ich hatte mehrere Probleme, die offenbar unzählige andere Besitzer des Smartphones teilten. Ohne bei den Problemen allzu sehr ins Detail gehen zu wollen, war ich mit keinem der Schwierigkeiten wirklich allein. Ganz zu Beginn stellte ich WLAN-Probleme fest: Das Smartphone wollte in manchen WLAN-Netzwerken einige Apps nicht laden. Unzählige Nokia 7 Plus-Besitzer beklagten dasselbe Problem.
Später (und bis heute) stelle ich fest, dass die Akkulaufzeit lächerlich schwach geworden ist, war sie anfangs doch in Ordnung. Auch hier war ich nicht allein. Nokias Produktforen sind voll von diesem Problem.
Probleme mit der Helligkeitsregelung habe ich ebenfalls, genauso wie das lästige Problem, dass beim Einstecken der Kopfhörer der Sound oft weiterhin aus dem Lautsprecher ausgegeben wird. Im Oktober des letzten Jahres traten auch bei mir immer wieder größere Hänger auf, wo das Display einfach plötzlich nicht reagierte.
Nokia lobt sich gerne selbst dafür, dass man Sicherheitsupdates vor allen anderen ausliefern und Android-Updates lange vor der Konkurrenz verfügbar macht. Mir nutzt das als Kunde allerdings rein gar nichts, wenn diese Updates es nicht stabil auf das Smartphone schaffen. So gerne ich das Nokia 7 Plus in der Vergangenheit empfohlen habe, so sehr bereue ich das mittlerweile. Es ist ein Ärgernis geworden, regelmäßig die Nokia-Foren nach Antworten, Tipps und Tweaks zu durchsuchen, um wenigstens eines dieser Probleme zu beheben.
Als dann allerdings auch ein Hardware-Defekt am Nokia 7 Plus vorlag, platzte mir der Kragen. Der USB-C Anschluss am Nokia 7 Plus ist in der Verarbeitung mangelhaft. Unzählige Nutzer beklagen das Problem eines lockeren USB-Anschlusses in den offiziellen Nokia-Foren und bekommen keine Antwort vom Konzern. Die meisten dieser Geräte sind nur wenige Monate alt, einige Käufer haben bereits mehrere Austauschgeräte durch. Es scheint häufiger Beschwerden darüber zu geben, denn der Amazon-Support in Deutschland nimmt die Geräte mittlerweile anstandslos zurück und bietet Käufern auch eine sofortige Rückerstattung an.
Im Internet häufen sich nun neben den anfänglich positiven Testberichten immer mehr Videos und Artikel, welche die Probleme der verschiedenen Nokia-Modelle hervorheben und von Käufen abraten.
Nokia lässt Kunden im Stich
Im Zuge des Mobile World Congress 2019 hat Nokia sich mit Selbstlob einbetoniert, besonders in Verbindung mit der Geschwindigkeit von System- und Sicherheitsupdates. Die Art, wie sich Nokia in der Öffentlichkeit und auf den Messen präsentiert, spiegelt allerdings nicht wieder, wie der Konzern mit seinen Kunden umgeht. Kaum legitime Beschwerden von Kunden in den Nokia-Foren bekommen eine Antwort vom Konzern.
Das lässt Nutzer glauben, die Probleme würden vereinzelt auftreten oder es seien keine ernsthaften Fehler, die behoben werden müssen. In den wenigsten Fällen reagiert das Unternehmen und gesteht Fehler ein. Stattdessen lässt man Nutzer im Unklaren über die Ursachen der Fehler, bietet bei Software-Fehlern kaum Unterstützung an und lässt meiner Meinung nach so die Kunden im Stich.
Nokia ist in der Hand von Google
Was sich allerdings noch mehr abzeichnet, ist der zunehmende Einfluss von Google auf die Marke Nokia. Der europäische Hersteller ist der Android-Plattform voll und ganz treu und baut sogar freiwillig eine Mauer um diesen angeblich offenen Garten. Nokia behindert aktiv mit geschlossenen Bootloadern die Verfügbarkeit von Custom ROMs, was selbst Google bei den eigenen Pixel-Phones nicht wagt und das trotz gegenteiliger Versprechen. Nokia blockiert absichtlich die Vielfalt und Offenheit von Android, wovon in Wahrheit nur Google profitiert.
Der Suchmaschinengigant macht die Android-Plattform ebenfalls immer mehr zum Walled Garden, indem Funktionen des Betriebssystems zunehmend von den Google Play-Diensten abhängig macht. Indem man Nutzern keinerlei Alternative hierzu gestattet, unterstützt Nokia diese Vorgänge direkt. Andere Android-Hersteller sowie auch die Europäische Union äußerten in der Vergangenheit Bedenken über die zunehmende Kontrolle, die Google auf Android ausübt.
Nokia biedert sich Google an. Der finnische Hersteller steht voll und ganz hinter der neuen Strategie des Suchmaschinengiganten. Google hat einen treuen Partner an seiner Seite, mit dem man die Übermacht von Huawei und Samsung auf der Android-Plattform eindämmen will. Samsung ist jedoch immer ein Hersteller gewesen, der in Wahrheit Googles Macht über die Android-Plattform enorm geschwächt hat. Nokia will das genaue Gegenteil und macht dafür sogar Fleißaufgaben.