Nach wie vor und trotz vieler Bemühungen seitens Microsoft mangelt es dem Store insbesondere an einem: Apps. Bereits auf der Build-Entwicklerkonferenz im Jahre 2015 kündigte Microsoft ein Verfahren an, mit dem sich Desktop-Anwendungen über den Windows Store vertreiben lassen. Der unter dem Projektnamen „Centennial“ vorangetriebene Ansatz wurde ein Jahr später – auf der diesjährigen Build-Entwicklerkonferenz – der Öffentlichkeit freigegeben. Dieser Artikel befasst sich mit den Möglichkeiten und Restriktionen, den Vor- und Nachteilen als auch der Auswirkung auf Windows 10 Mobile.
Machbarkeitsstudie oder Realität?
Erfolge
Die aktuelle Strategie von Microsoft wird in Fachkreisen und auch innerhalb unserer WindowsArea.de-Community kontrovers diskutiert: Verliert Microsoft langfristig durch die verstärkte Konzentration auf Android und iOS Nutzer für die eigene Plattform? Oder erhöht Microsoft die Präsenz und die Kundenzufriedenheit mit Apps für die Plattformen der Konkurrenz und kann so langfristig sogar Nutzer für die eigene Plattform gewinnen? Hierauf gibt es wohl keine eindeutige Antwort. Doch mit Project Centennial fährt Microsoft definitiv den Ansatz, die eigene Plattform zu stärken und kann damit sogar unter Umständen Nutzer zurückgewinnen.
Dass Project Centennial keine Machbarkeitsstudie ist, zeigen unter anderem zwei prominente Beispiele: Rise of the Tomb Raider und Quantum Break. Beide Videospiele werden über den Store vertrieben und fallen somit unter die Kategorie „Universal Windows Platform“.
Wie genau das funktioniert und welche Vorteile der Windows Store für die Nutzer mitbringt, erklärt uns Boris Schneider-Johne, Enthusiast Marketing Manager Windows bei Microsoft:
Vorteile
Das Vorgehen von Project Centennial bringt diverse Vorteile mit sich: So werden nicht nur die Universal Windows Apps, sondern auch die über den Store installierten „klassischen“ Win32-Programme in einer virtuellen Maschine ausgeführt. Das bringt einerseits den ungemeinen Vorteil, dass sich die über den Store installierten Apps/Programme mit einem Klick ohne Rückstände deinstallieren lassen. Dies schafft viel Vertrauen der Nutzer, einfach einmal eine Desktop-App auszuprobieren, wie man es bereits vom Smartphone kennt. Andererseits wird jede in den Store gestellte App von Microsoft auf Schadsoftware überprüft, sodass ein Installieren aus dem Store einen weiteren Sicherheitsfaktor darstellt. Wie vom Store gewohnt, können auch die Desktop-Apps schnell mit Updates aktualisiert werden. Letztendlich erhält der Nutzer so ein aufgeräumtes System, welches langfristig nicht an Geschwindigkeit verliert.
Weitere Vorteile sind Folgende:
- Entwickler können ihre Apps über den Store leicht einer großen Anzahl an Nutzern zugänglich machen – zumindest denen, die Windows 10 nutzen.
- Live Tiles und weitere Vorteile der Universal Windows Platform können einfach integriert werden.
Besonders Interessierten empfehlen wir einen Blick in unsere Auseinandersetzung mit Windows as a Service (WaaS), in der wir uns bereits ausführlich mit den Vorzügen von Project Centennial im Zusammenspiel mit Windows 10 beschäftigt haben.
Project Centennial is a bridge from Classic Windows Applications to Universal Windows Apps.
Folgendes Video zeigt die Aufzeichnung der entsprechenden Session der Build-Entwicklerkonferenz 2016:
Nachteile
Leider bringt die Universal Windows Platform auch einige Nachteile mit sich. Unsere Kollegen von ComputerBase haben sich der Probleme im Zusammenspiel mit dem Spiel „Quantum Break“ einmal genauer angeschaut. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass die Universal Windows Platform dem Spiel derzeit sehr schadet, denn durch noch fehlende Funktionen ergäben sich zum Teil starke Leistungs- und Qualitätseinbußen.
Microsofts UWP kein Spiel für Enthusiasten.
So gibt es für solche Apps noch keinen „echten“ Vollbildmodus, sondern nur einen randlosen Fenstermodus. Ein „echter“ Vollbildmodus jedoch besitzt den Vorteil, dass andere (aktive) Anwendungen keinen (großen) Einfluss auf die Anwendung im Vollbildmodus haben können.
Ein weiterer Nachteil birgt sich im (zusammengefasst) nicht konfigurierbaren Vsync, G-Sync und FreeSync – grundsätzlich also Technologien, die die Framerate je nach Hardware und Auslastung optimieren. Die technischen Details hat ComputerBase im erwähnten Artikel ausführlich dargelegt. Sonderlich gut funktioniert dies mit UWP-Apps leider noch nicht und so springen die Framerates – je nach Systemkonfiguration – zwangsweise sehr stark. Eine Grafik verdeutlicht dies:
Microsoft hat die Probleme jedoch erkannt und in der Folge diverse Verbesserungen angekündigt, die nächsten Monat Einzug erhalten sollen. So soll es in Zukunft möglich sein, VSync manuell zu deaktivieren. Im gleichen Zuge wird G-Sync und FreeSync (korrekt) implementiert.
Weitere Nachteile sind insbesondere die Entwickler und deren Vorstellungen betreffend. So äußerst sich Tim Sweeney, Spieleentwickler bei Epic Games, über Microsofts neuen Ansatz:
Microsoft will die Spiele-Entwicklung auf dem PC monopolisieren. Das müssen wir bekämpfen.
Denn wenn der Store in Zukunft mehr Erfolg verspürt, werden die Spieleentwickler indirekt dazu „gezwungen“, ihre Spiele mindestens ebenfalls über diesen zu vertreiben. Microsoft arbeitet – und das ist klar ersichtlich – daran, die Popularität des Stores stark zu erhöhen. Damit machen sich Entwickler jedoch gewissermaßen von Microsoft abhängig und diese müssen außerdem einen gewissen Prozentsatz des geflossenen Geldes abgeben. Genau so eben, wie es bereits bei „regulären“ Apps seit Jahren der Fall ist.
Phil Spencer, Leiter von Microsofts Unterhaltungsabteilung, versucht in Reaktion darauf die Gemüter zu besänftigen:
Windows is and will continue to be an open development ecosystem where anyone can build, deploy, sell and service their games and applications.
Microsofts Streben nach „klassischen“ Programmen im Windows Store zielt auch darauf ab, Windows 10, DirectX 12 und weitere Microsoft-Technologien zu pushen. Einerseits können Entwickler ihre Programme und Spiele so auf Windows 10 und die damit einhergehenden Neuerungen optimieren. Andererseits sind die Anwendungen nur auf Windows 10 verfügbar und damit einer bisher „relativ“ kleinen Zielgruppe zugänglich.
Weitere Kontrolle verlieren die Entwickler über die Lizenzen: Diese sind durch die Universal Windows Platform an den Microsoft-Account gebunden. Die klassischen Installer funktionieren nicht mehr und müssen umgeschrieben werden, damit sie als UWP-App funktionieren. Das ist weiterer Aufwand, der den Erfolg des neuen Ansatzes mit Sicherheit beeinflussen wird.
Kann Microsoft Apps?
Bekanntheitsgrad des Stores
Wenn ich meine Bekannten und Freunde über den Store befrage, die nicht im direkten Microsoft-Umfeld tätig sind, erhalte ich oft ernüchternde Antworten: Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass auch ein Store in Windows 10 für Desktop integriert ist. Auch weiß ein großer Teil der Nutzer nicht, wie viele Vorteile dieser bietet und wie viel Potential dieser beinhaltet. Und ohne große Ankündigungen seitens Microsoft werden die Nutzer erst recht nicht wissen, dass bereits „klassische“ Programme im Store vertreten sind. In eine ausführlichen Bericht haben wir uns bereits mit dem Begriff der „App“ und den Assoziationen auseinandergesetzt. Viele Nutzer können einen Store schlicht nicht mit Desktop-Apps assoziieren und das ist schade, denn der Store stellt ein Schlüsselkonzept für Microsoft dar: Insbesondere verweigern sich viele Nutzer Windows 10 Mobile mit dem Argument, es gäbe nicht genügend Apps. Und das ist – ganz ehrlich – ein in der Regel nachvollziehbares Argument.
Einfluss auf Windows 10 Mobile
Mit Project Centennial schafft Microsoft jedoch einen sehr klugen Anreiz, die Attraktivität des Stores zu erhöhen und den Store als Nutzer aktiv zu nutzen. Desktop-Apps wie Quantum Break oder Adobe Photoshop Elements – letztere im Video der Build-Entwicklerkonferenz erwähnt – können mit relativ wenig Aufwand in den Store gestellt werden. Auch wenn diese Desktop-Apps – erst einmal – nur unter Windows 10 für Desktop einen Mehrwert generieren, steigt damit die Akzeptanz eines Stores unter Windows 10 im Allgemeinen. Das wiederum sorgt dafür, dass – gerade durch die im Store verfügbaren Universal Windows Apps – Windows 10 Mobile besser angenommen werden könnte. Ganz bewusst schreiben wir „könnte“, denn die Schlussforderung erfordert viele Voraussetzungen: Microsoft muss den Store aktiv bewerben und die Vorteile von Universal Windows Apps aufzeigen.
Project Centennial nur ein Puzzleteil
Man erinnere sich daran, dass wir vor einigen Monaten geschrieben haben, mit Windows 10 werde alles besser. Microsofts Konzepte und Ideen würden erst mit Windows 10 das volle Potential entfalten. Windows 10 würde Microsoft zum Erfolg – auch im mobilen Sektor – verhelfen. Diese Annahme war wohl etwas zu optimistisch gewählt und unserer Meinung nach überwiegt zum heutigen Tage – zumindest im Endkundenbereich – nach wie vor das Potential. Project Centennial kann in der Zukunft den Sinkflug von Windows Phone bzw. Windows 10 Mobile vielleicht verlangsamen. Doch fraglich ist, ob das Konzept einen wirklichen Mehrwert für das mobile Betriebssystem bringt. Schließlich entstehen hierdurch erst einmal keine neuen Universal Windows Apps, die auf einem Windows Phone genutzt werden können. Es heißt also in Zukunft bitte nicht mehr „later this year“, sondern „available now“ und „developers, developers, developers“! So kann es auch etwas werden, Microsoft!
(Bild-)Quelle(n): Heise, ComputerBase, Dr. Windows, Channel 9 (Microsoft)